Tödliche Versprechen

Auch ein Filmkritiker surft vor und nach einem Kinobesuch gerne durch das Internet und stöbert dabei auch in allerhand Foren. Klar, oft wird über Filme angeregt und sehr differenziert diskutiert, bezüglich Tödliche Versprechen scheinen sich aber 50 Prozent der Kinobesucher sicher zu sein, einen der schlechtesten und langweiligsten Filme 2007 gesehen zu haben – und die restlichen 50 Prozent loben den Film in himmlische Höhen und würden ihm direkt mehrere Oscars verleihen. Johannes Michel, so viel sei verraten, stellt sich nicht dazwischen und ordnet sich klar einer Seite zu.

Tödliche Versprechen (Eastern Promises)
Thriller/Drama, Großbritannien/Kanada 2007. FSK: Freigegeben ab 16 Jahren. 101 Minuten.
Mit: Viggo Mortensen, Naomi Watts, Vincent Cassel, Armin Müller-Stahl, Sinéad Cusak, Jerzy Skolimowski, Josef Altin, Mina E. Mina, Aleksander Mikic, Sarah-Jeanne Labrosse u.a. Regie: David Cronenberg.

Tödliche Langeweile oder grandioser Gangsterfilm?

Cronenbergs Filme muss man mögen. Diese Aussage ist nicht einfach so daher gesagt, sondern trifft vollkommen zu. Wer mit Regisseur David Cronenberg wenig anfangen kann und noch nie einen seiner Filme gesehen hat, der sollte definitiv einen Kinobesuch einschieben – schon allein, um sich eine Meinung zu bilden. Mit Die Fliege gelang ihm in den 1980ern ein Film, der schon heute als absoluter Klassiker gilt. 2005 zeigte er mit History of Violence eine weitere Facette seines Könnens. Nun hat es ihm die Russenmafia angetan.

An Weihnachten wird die schwangere Tatiana ins Krankenhaus eingeliefert. Das Baby der Prostituierten und Drogensüchtigen kann gerettet werden, für die war es zu spät. Krankenschwester Anna (Naomi Watts), nimmt das Baby wie eine Tochter an und gibt ihm den Namen Christine. In Tatianas Sachen findet sie ein Tagebuch. Obwohl sie russische Vorfahren hat, kann sie das Buch nicht übersetzen und bittet ihren Onkel Stepan (Jerzy Skolimowski) darum, der sich allerdings weigert. Daraufhin wendet sie sich an Semyon (Armin Müller-Stahl), den Besitzer eines russischen Restaurants, dessen Visitenkarte Anna im Tagebuch gefunden hat. Was sie nicht ahnen kann ist, dass Semyon der Anführer der Londoner Russenmafia ist und zusammen mit seinem Sohn Kirill (Vincent Cassel) und Fahrer Nikolai (Viggo Mortensen) die Unterwelt beherrscht. Als sich Onkel Stepan doch überwindet und das Buch liest, wird der Familie schnell klar, dass Tatiana in Verbindung zur Mafia stand. Anna und ihre Familie müssen ab diesem Zeitpunkt um ihr Leben fürchten.

Ein Leben in Tattoos: Nikolai ganz in der Tradition, wichtige Stationen des Lebens auf der Haut festzuhalten.

Gangster- und Unterweltfilme scheinen „in“ zu sein. Dieser Gedanken wird dem Kinofan in den vergangenen Jahren sicher einige Male gekommen sein. Mit dabei waren grandiose Filme wie Departed und zuletzt American Gangster. Tödliche Versprechen aber ist mit keinem wirklich zu vergleichen, einzig das Genre haben sie gemein.

Regisseur David Cronenberg geht es wenig bis gar nicht um Action, sondern um eine realistische Darstellung des Geschehens in der Unterwelt. Tödliche Versprechen wird somit zu einer Milieustudie, die in düsteren Bildern und bei regnerischem Wetter den Alltag von Verbrechern zeigt, die eine Leiche zerlegen wie andere ein Hähnchen auf dem Esstisch am Sonntag – unter Anwesenheit der Familie versteht sich. Nikolai, nach außen hin freundlich und hilfsbereit, in Wirklichkeit aber ein nicht gerade zimperlicher Verbrecher, der sich vom Fahrer zum Mitglied der Führungsriege hinauf arbeitet, dürfte vielen Zuschauern ein eiskaltes Schauern über den Rücken laufen lassen. Dafür verantwortlich ist nicht zuletzt die Brillanz des Schauspiels von Viggo Mortensen, der sich mit diesem Film als Charakterdarsteller empfohlen haben dürfte.

Die gesamte Handlung des Films hangelt sich an den Personen entlang. Anna versucht ständig, hinter die Fassade von Nikolai zu blicken – und der Zuschauer mit ihr. Überraschungen bleiben dabei nicht aus, sind aber ansonsten Mangelware. Zwar kommt es zu einigen unvorhersehbaren Wendungen, viele Zuschauer dürften den Plot aber bereits nach gut einer halben Stunde durchschaut haben. Aber muss das unbedingt eine Schwäche sein? Natürlich nicht, denn der „Tatort“ am Sonntag ist ebenfalls keineswegs langweilig, wenn schon zu Beginn feststeht, wer Gut und Böse repräsentiert und wer den Mord begangen hat.

Nachwuchs-Mafiosi Kirill, grandios gespielt von Vincent Cassel, ist zwar ein Gangster, aber wohl nicht aus freiem Willen. Daher überlässt er Nikolai die Drecksarbeit und manövriert sich fast ins Abseits. Armin Müller-Stahl, den wir Ende 2008 in der Neuverfilmung der Buddenbrooks sehen werden, überrascht abermals mit einer großartigen Leistung. Seine Taten werden niemals gezeigt, sondern dem Zuschauer nur erzählt. Dies spricht für Cronenbergs Inszenierung.

Gewalt ist in Tödliche Versprechen omnipräsent, auch wenn der Zuschauer davon nicht viel mitbekommt. Wenn Cronenberg allerdings den Bluttopf auspackt, dann so richtig. Zart beseidete Kinobesucher sollten einige Szenen lieber auslassen oder an der Schulter ihres Begleiters/ihrer Begleiterin verbringen. Beste Szene: Nikolai muss in einer Badeanstalt im wahrsten Sinne des Wortes um sein nacktes Überleben kämpfen.

Fazit: Besser hätte das Kinojahr 2007 kaum enden können. 8 von 10 Punkten.


Kirill und Nikolai.

Semyon im Krankenhaus bei Anna. Was hat er mit Tatianas Kind zu tun?

Nikolai nach der Schlacht im Badehaus.
Johannes Michel, 30. Dezember 2007. Bilder: Tobis.

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American Gangster (8/10)
Das perfekte Verbrechen (8/10)
Departed – Unter Feinden (8/10)


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