Parasite (2019)

Die große Überraschung bei der 91. Oscar-Verleihung: Parasite aus Südkorea gewann in den Königskategorien, darunter auch als bester Film. Mit Verspätung konnte ich das Werk im Kino bestaunen.

Parasite (Gisaengchung)
Komödie/Thriller Südkorea 2019. FSK: Freigegeben ab 16 Jahren. 132 Minuten. Kinostart: 17. Oktober 2019.
Mit: Song Kang-ho, Choi Woo-shik, Jang Hye-jin, Park So-dam, Cho Yeo-jeong, Lee Sun-kyun, Jung Ji-so, Lee Jung-eun, Park Myung-hoon u.a. Drehbuch: Bong Joon-ho und Han Jin-won. Regie: Bong Joon-ho.

 


Haus und Keller, Himmel und Hölle

Es läuft denkbar schlecht für Familie Kim. Sowohl Vater Ki-Taek (Song Kang-ho) als auch Mutter Chung-Sook (Jang Hye-jin) sind arbeitslos. Die beiden erwachsenen Kinder Ki-woo (Choi Woo-shik) und Ki-jung (Park So-dam) können sich weder Ausbildung noch Studium leisten. Und so leben die vier in einer heruntergekommenen Kellerwohnung. Da taucht Ki-woos bester Freund Min-hyuk (Park Seo-joon) auf. Der Student schenkt der Familie nicht nur einen großen Stein, der ihnen Wohlstand bringen soll, sondern überlasst wegen eines baldgen Auslandsjahres Ki-woo auch seine Stelle als Englisch-Nachhilfelehrer von Da-hye (Jung Ji-so), Tochter des sehr reichen IT-Unternehmers Nathan Park (Lee Sun-kyun). Als Kevin beginnt Ki-wook das junge Mädchen zu unterrichten und sorgt zudem dafür, dass ihre Mutter, die leichtgläubige Madame Park (Cho Yeo-jeong), Ki-jung alias Jessica als Kunstlehrerin für den kleinen Sohn Da-song (Jung Hyeon-jun) einstellt. Dank zweier geschickt eingefädelter Intrigen werden sukzessive auch der Chauffeur (Park Geun-rok) sowie die langjährige Haushälterin (Lee Jung-eun) entlassen und durch die Kim-Eltern ersetzt. Alles scheint gut zu laufen…

In den letzten Jahren habe ich die Oscars nur am Ende verfolgt, vor allem weil nach meinerm Befinden die Academy zu oft einfach Streifen aus dem “eigenen Dunstkreis” auszeichnet anstatt Filme aus aller Welt für deren Qualität zu würdigen, wie es eigentlich sein sollte. Umso überraschter war ich vor gut zwei Wochen als mit Parasite ein südkoreanischer Beitrag nicht nur den Goldjungen als bester internationaler Film (früher: bester fremdsprachiger Film) erhielt, sondern auch für das beste Originaldrehbuch, die beste Regie UND als bester Film überhaupt ausgezeichnet wurde. Die Gelegenheit, das gefeierte Werk von Regisseur Boog-Joon-ho vier Monate nach dem eigentlichen Deutschlandstart doch noch im Kino sehen zu können, ließ ich mir am vergangenen Wochenende nicht entgehen. Dadurch kann ich guten Gewissens bestätigen, dass Parasite ein mehr als würdiger Gewinner ist.

Bereits in Snowpiercer (2013), basierend auf der französischen Graphic Novel Schneekreuzer (Le Transperceneige) von Jacques Lob, Benjamin Legrand und Jean-Marc Rochette, thematisierte Regisseur Bong Joon-ho die Auseinandersetzung unterschiedlicher Gesellschaftsschichten, in einem Zug, der durch eine lebensfeindliche Eiswüste fährt und die letzten überlebenden Menschen beherbergt, von den Reichen ganz vorne bis zu den Armen in den letzten Wagons. In seiner siebten Regie-Arbeit Parasite treibt Bong diesen Konflikt auf die Spitze. Eine finanzschwache Familie schleicht sich bei einer reichen ein und genießt teilweise deren Lebensstil. Bong Joon-ho spielt hier in vielerlei Hinsicht mit Doppeldeutigkeit und starken Bildern.

Als die titelgebenden Parasiten fungieren nämlich keineswegs nur die arme Familie, die sich durch gefälschte Zeugnisse und andere Tricks gut bezahlte Jobs “ergaunern”, sondern auch die wohlhabenden Bürger, die es sich auf Kosten der sozial Schwachen gutgehen lassen, selbst keine Hausarbeit verrichten können oder wollen und auch nicht selbst Auto fahren. Von daher könnte man die im Film beschriebene Situation fast als Symbiose beschreiben. Die reichen Parks schaffen eigentlich nicht unbedingt notwendige Arbeit, welche die armen Kims nur allzugerne übernehmen. Besonders wenn es den Helden gelingt, die totale Leichtgläubigkeit der reichen Hausherrin auszunutzen, fühlt man sich in einer Gaunerkomödie, die zudem ein paar Heist-Movie-Elemente aufbietet. Als Hauptschauplatz dient die Villa der Parks mit modernster Architektur, zwar keineswegs total pompös und dekadent, aber mit viel Raum und unfassbar breiten Panoramafenstern. Ein deutlicher Kontrast zum versifften Kellerloch der Kims, welches seinen Bewohnern lediglich Ausblick auf Müllberge bietet.

Obwohl sich die Handlung in der koreanischen Metropole Seoul abspielt, so funktioniert diese doch als universales Abbild der vom Hyper-Kapitalismus geprägten westlichen Gesellschaften nach amerikanischem Vorbild, in welchen das Geld extrem ungerecht verteilt ist und sozialer Druck sich dummerweise nur unter den Geringverdienern entlädt. Mit allerlei Hitergründigkeit loten Bong Joon-ho und sein Co-Autor Han Jin-won ihre Figuren aus. Die arme Familie muss etwas hinterhältig und durchtrieben sein, um finanziell über die Runden zu kommen während sich die bestens betuchte Sippe Freundlichkeit und Großzügigkeit erlauben kann. Im Verlauf bröckelt die lächelnde Fassade der Parks aber immer wieder und böse Herablassung tritt ans Licht, etwa wenn sich das Ehepaar abfällig über den Geruch ihres neuen Chauffeurs äußert. Im letzten Drittel mutiert das Szenario dann zum abgründigen Thriller und kulminiert in einem folgenschweren Finale.

Nach den Filmfestspielen von Cannes 2019, bei welchem Parasite mit der Goldenen Palme prämiert wurde, folgte ein Siegeszug mit diversen Filmpreisen wie einem Screen Actors Guild Award, Golden Globe und dem unverhofften Triumph bei den Oscars. Bei einem Budget von umgerechnet etwa 11 Millionen Dollar spielte der Film weltweit bisher 209 Millionen Dollar ein, darunter 49 Millionen in den USA und knapp 73 Millionen in Südkorea. Der US-Kabelsender HBO hat indes eine Adaption des Stoffes als “limited series” angekündigt, mit Bong Joon-ho als einem der ausführenden Produzenten.

Parasite erscheint am 5. März 2020 auf BluRay und DVD.

Fazit: Mit dem diesjährigen Oscar-Abräumer Parasite inszenierte Regisseur Bong Joon-ho nicht nur eine symbolträchtig-treffende Gesellschaftskomödie, die zum Thriller mutiert, sondern auch einen gekonntes Mischwerk zwischen Arthousefilm und populärem Kino. 9 von 10 Punkten.

 

Marius Joa, 26. Februar 2020. Bilder: Koch Films/Capelight.

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