1001 Nacht – Teil 2: Der Verzweifelte

Kurz hintereinander sind die Kinostarts der drei Teile von 1001 Nacht getaktet. Im zweiten Teil der Portugal-Trilogie lässt Regisseur Miguel Gomes Sheherazade drei neue Geschichten erzählen…

8-101001 Nacht – Teil 2: Der Verzweifelte (As Mil e Uma Noites – Volume 2: O Desolado)
Drama/Parabel Portugal, Deutschland, Frankreich, Schweiz 2015. FSK: Freigegeben ab 12 Jahren. 131 Minuten. OmU. Kinostart: 11. August 2016.
Mit: Crista Alfaiate, Luísa Cruz, Chico Chapas, Teresa Madruga, João Pedro Bénard, Joana de Verona, Gonçalo Waddington u.a. Regie: Miguel Gomes. Drehbuch: Miguel Gomes, Mariana Ricardo, Telmo Churro.

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Desperate Justice

Oh glückseliger König, ich vernahm, dass eine traurige Richterin zu weinen beginnt, anstatt ihr Urteil zu sprechen, als die Nacht der drei Monde hereinbricht. Ein flüchtiger Mörder streift vierzig Tage lang durchs Hinterland, träumt von Huren und Rebhühnern und teleportiert sich, um der Polizei zu entkommen. Eine verletzte Kuh erinnert sich an einen tausendjährigen Olivenbaum und erzählt traurige Geschichten. Die Bewohner eines Hochhauses in einem Vorort, umgeben von Toten und Geistern, retten Papageien und urinieren in Aufzüge. Dort gibt es auch einen Hund, der…“. Und als der neue Tag anbricht, verstummt Scheherazade.

Im Mittelteil, dem längsten der „1001 Nacht“-Trilogie, erzählt Sheherazade dem Sultan drei weitere Geschichten aus dem heutigen Portugal. Der Titelheld aus “Simão ohne Gedärme”, ein älterer bärtiger Mann, hat mehrere Morde begangen und obwohl die Polizei alle ihre Ressourcen in die Waagschale wirft (vor allem auch Dronen einsetzt), gelingt es ihm sich vierzig Tage lang versteckt zu halten. Als Simão schließlich geschnappt wird, genießt er für kurze Zeit seinen zweifelhaften Ruhm. Der Streifzug des Mörders auf der Flucht über Felder und Wiesen wirkt bisweilen wie die iberische Version von Der Mann in den Bergen.

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 Der Dschinn

Während der Himmel in der Nacht der drei Vollmonde ein beispielloses Naturschauspiel bietet, beginnt in einem Amphitheater eine Open-Air-Gerichtsverhandlung. Angeklagt wird die Mutter eines einfältigen erwachsenen Sohnes. Weil dieser seine Noch-Ehefrau mehrfach sexuell bedrängt hat, muss die Mutter ihrer Schwiegertochter eine monatliche Entschädigung zahlen. Um das Geld zusammen zu kratzen, verkauft sie die Möbel in ihrer möblierten Mietwohnung. Für die Richterin (Luísa Cruz) scheint die Sache am Anfang ganz eindeutig. Doch auch der Vermieter, dem die Möbel gehören, hat Dreck am Stecken. Im Verlauf der Verhandlung entspinnt sich außerdem ein endloses und undurchdringliches Geflecht von Verkettungen und Kausalitäten, in denen unter anderem maskierte Diebe, eine sprechende Kuh, eine taubstumme Frau und ausländische Geschäftsleute verwickelt sind. „Die Tränen der Richterin“ heißt die zweite Geschichte des Films, denn am Ende kann die personifizierte Justizia nur noch weinen vor Ohnmächtigkeit im Angesicht dieser kafkaesken Verwicklungen, die zur großen Erheiterung des Kinozuschauers ins Absurde abdriften. Da kann keine noch so reißerische Gerichtsshow mithalten!

Melancholisch und nachdenklich wird es bei der dritten Geschichte. „Die Besitzer von Dixie“ handelt von einem liebenswerten kleinen Hund, der in einer heterogenen Hochhaussiedlung in einem heruntergekommenen Vorort einer Großstadt auftaucht und in dem gebeutelten Ehepaar Luisa ( Teresa Madruga) und Humberto ( João Pedro Bénard) neue Besitzer findet. Luisa lernt das junge Paar Vania (Joana de Verona) und Vasco (Gonçalo Waddington) kennen, die nicht nur mit finanziellen Problemen zu kämpfen haben. Zwischenzeitlich fungiert Humberto als Erzähler und reißt diverse kleine Stories über die verschiedenen Bewohner dieses High-Rise der postmodernen sozialen Kälte an. Als Bindeglied fungiert nicht selten Dixie, der im Verlauf immer wieder neue Herrchen und Frauchen findet, als habe er die vorherigen vergessen. Der Hund als tierische Verköperung bedingungsloser Freundschaft und Zuneigung, selbst in freudlosen Zeiten.

Ab kommender Woche (Donnerstag, 25. August 2016) findet 1001 Nacht mit dem dritten Teil Der Entzückte seinen Abschluss.

Fazit: Der Mittelteil von Miguel Gomes’ epischem Erzählungsreigen aus Portugal pendelt gekonnt zwischen leisen, tragischen Schicksalen und absurder Komik. 8 von 10 Punkten.

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Die Richterin kann es nicht glauben…
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Dixie, der kleine Hund

 

Marius Joa, 19. August 2016. Inhaltsangabe und Bilder: Real Fiction Filmverleih.


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