Undine (2020)

In seinem diesjährigen Berlinale-Beitrag Undine übersetzt Regisseur Christian Petzold den gleichnamigen Mythos in das Berlin der Gegenwart.


Undine
Liebesdrama Deutschland, Frankreich 2020. FSK: Freigegeben ab 12 Jahren. 90 Minuten. Kinostart: 2. Juli 2020.
Mit. Paula Beer, Franz Rogowski, Maryam Zaree. Jacob Matschenz, Rafael Stachowiak u.a. Drehbuch und Regie: Christian Petzold.
 


Die Nymphe und der Taucher

Die Historikerin Undine Wibeau (Paula Beer) arbeitet bei der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Wohnen und hält Vorträge über die urbane Entwicklung Berlins. Als Johannes (Jacob Matschenz) die gemeinsame Beziehung überraschend beendet ist Undine am Boden zerstört. Doch kurze Zeit später lernt sie den Industrietaucher Christoph (Franz Rogowski) kennen und die beiden verlieben sich. Christoph zeigt sich fasziniert von Undines Kenntnissen, sie folgt ihm auf einen Tauchgang in die ihr bereits bekannte Unterwasserwelt. Denn Undine ist ein Wassergeist. Ihr Glück mit Christoph scheint perfekt, doch da taucht Johannes wieder auf…

In Zeiten der durch die Corona-Pandemie herrschenden Beschränkungen, die zur Folge haben, dass die Kinosäle nur etwa zu einem Viertel besetzt werden dürfen, bietet sich sommerliches Open-Air-Kino als entspanntere Alternative an. Daher sichtete ich beim Festungsflimmern im Neutorgraben der Festung Marienberg zu Würzburg den Film Undine. Christian Petzold (geboren 1960) stellt in den Mittelpunkt seiner Filme meist Frauen, die gegen Widerstände kämpfen, wie in Yella (2007) und Barbara (2012). Oft verarbeitet der Regisseur auch deutsche Geschichte, siehe Die innere Sicherheit (2000) und Phoenix (2014). In seinem neuesten Werk, welches im Februar 2020 bei der Berlinale seine Premiere feierte, adaptiert Petzold die Sage vom gleichnamigen Wassergeist. Der Stoff inspirierte bereits diverse literarische Werke wie Friedrich de la Motte Fouqués Novelle von 1811 oder Hans Christian Andersens bekanntes Märchen Die kleine Meerjungfrau (1836), das wiederum als Vorlage für mehrere Verfilmungen wie den Disney-Zeichentrickfilm Arielle, die Meerjungfrau (1989) diente. Neil Jordan (Interview mit einem Vampir) veröffentlichte 2009 seinen Film Ondine – Das Mädchen aus dem Meer.

Gemäß der mythologischen Überlieferung handelt es sich bei Undine um ein Wasserwesen, eine Nymphe, die erst eine Seele erhält, wenn sie sich mit einem Sterblichen vermählt. Sollte der Mann sie betrügen oder verlassen sieht sie sich gezwungen, diesen zu töten und anschließend wieder ins Wasser zurückzukehren. Die von Paula Beer (Bad Banks) verkörperte Protagonistin versucht allerdings ihrer vorgezeichneten Bestimmung zu entkommen. Petzold verlegt die Handlung ins Berlin der Gegenwart, wo die Titelheldin interessierten Besuchern anhand diverser Modelle die Entwicklung der deutschen Hauptstadt vom Sumpf zur großen Metropole, die vierzig Jahre lang durch die Mauer geteilt war, vermittelt. Diese gebildete, aber einsame Frau trifft nach der Trennung von ihrem Ex-Freund zufällig auf den Taucher Christoph. Durch einen kuriosen Unfall kommen sich die beiden schnell näher. Eine inhaltlich recht reduzierte Liebesgeschichte ohne große dramaturgischen Schlenker oder komplexe Bedeutungsebenen. Dem Regisseur geht es mehr um die leise, unmittelbare Intensität der Romanze und was diese mit den Figuren macht.

Untermalt von Johann Sebastian Bachs “Cembalokonzert d-moll BWV 974”, welches vom isländischen Pianisten Víkingur Ólafsson interpretiert wird, spielt sich die Handlung vor fast menschenleerer, entrückter Kulisse ab und atmet bisweilen die verträumt-melancholische Poesie von Wim Wenders’ Klassiker Der Himmel über Berlin (1987). Als stark erweist sich auch die Chemie der beiden Hauptdarsteller. Franz Rogowski wirkt mit seinem angeborenen Sprachfehler umso authentischer. Beer und Rogowski spielten bereits gemeinsam in Petzolds vorherigem Film Transit (2018), der auf dem gleichnamigen Roman von Anna Seghers basiert. Für den Regisseur bildet Undine den Auftakt zu einer geplanten Trilogie über Elementargeister als Figuren der deutschen Romantik.

Fazit: Nüchtern-poetisches Großstadtmärchen, das den Mythos des Wassergeistes in ein Gegenwartssetting überträgt. 7 von 10 Punkten.

Marius Joa, 19. Juli 2020. Bilder: Piffl Medien. 

Beitrag veröffentlicht

in

von

Kommentare

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

WordPress Cookie Hinweis von Real Cookie Banner