The Invisible Fight

Beim Fantasy Filmfest und seinen Nebenveranstaltungen, wie den kürzlichen FFF Nights, gibt es immer wieder mal kuriose Filme. Rainer Sarnets schräge Martial-Arts-Komödie The Invisible Fight gehört definitiv dazu.

The Invisible Fight (Nähtamatu võitlus)
Actionkomödie Estland, Finnland, Griechenland, Lettland 2023. 115 Minuten. Kinostart: unbekannt.
Mit: Ursel Tilk, Indrek Sammul, Kaarel Pogga, Ester Kuntu, Sepa Tom, Rain Simmul, Maria Avdjushko u.a. Drehbuch und Regie: Rainer Sarnet.



Estonian Orthodox Kung-Fu Monks

1973. Als der junge Estländer Rafael (Ursel Tilk) seinen Wehrdienst am Grenzposten der UdSSR zu China ableistet wird er Zeuge eines kuriosen Angriffs. Ein Trio chinesischer Rocker (Eddie Tsai, Kyro Wavebourne, Johnny X. Wang) vermöbelt die russischen Soldaten, bewaffnet mit Ghettoblaster, Schwert und Nunchaku. Rafael überlebt, ist aber fortan mit dem Kung-Fu-Virus infiziert. Er möchte unbedingt, sehr zum Unwillen seiner Mutter (Maria Avdjushko), ein Kampfkunstmeister werden. Als er mit seinem Wagen liegenbleibt entdeckt Rafael ein Kloster mit orthodoxen Mönchen, die in der asiatischen Kampfkunst sehr bewandert sind. Gegen den Widerstand des eifersüchtigen Bruders Irinei (Kaarel Pogga) und mit Unterstützung durch den alten Abt (Indrek Sammul) beginnt der junge Mann seine Ausbildung, die jedoch von allerlei Versuchungen, etwa in Gestalt der hübschen Rita (Ester Kuntu), und Ablenkungen gefährdet wird…

Das Fantasy Filmfest (Hauptveranstaltung meist Mitte/Ende September)  und seine beiden Nebenschienen (White Nights: Ende Januar/Anfang Februar) und Nights (Mitte/Ende April) hat sich trotz meiner ungünstigen Lage zwischen zwei Spielorten (Frankfurt und Nürnberg) zu einer festen Größe in meinem jährlichen Kinojahr gemausert. Abgesehen von klassischen Horrorfilmen und anderen Genre-Werken gibt es dort auch immer wieder Film aus Regionen/Ländern, aus denen man ansonsten wenig bis nichts mitbekommt. Bei den Fantasy Filmfest Nights 2024 (18. bis 21. April in Berlin, Köln und Stuttgart bzw. 25. bis 28. April in Franfurt, Hamburg, München und Nürnberg) wurden 17 Spielfilme gezeigt, darunter auch einer aus Estland. The Invisible Fight (Originaltitel: Nähtamatu võitlus) von Regisseur Rainer Sarnet (geboren 1969) ist überhaupt erst der zweite Film aus dem baltischen Land, den ich gesehen habe. Und dann wird auch noch so ein schräger Genre-Mix geliefert!

Rafael hat eine neue Bestimmung

Rainer Sarnet hat sich auch außerhalb der kleinen Filmindustrie Estlands, in deren Rahmen jedes Jahr vnur ein halbes Dutzen  Produktionen gestemmt werden, mit seiner Dostojewski-Adaption The Idiot (2011) und dem Fantasy-Horror November (2017) einen Namen gemacht. Sein neuestes Werk ist erst der zweite Film aus Estland, den ich überhaupt gesehen habe. Der andere heißt Lisa Limone & Maroc Orange (2013) von Mait Laas und zelebriert als Stop-Motion-Musical mit anthropromophen Früchten und einer Flüchtlingsgeschichte eine einmalige Mixtur. Auch The Invisible Fight wildert in mehreren Genres.

Man sollte hier allerdings keinen Exploitation-Streifen à la African Kung-Fu Nazis (2020) oder Mad Heidi (2022) erwarten. Die Kloppereien nehmen bei Nähtamatu võitlus, dem Originaltitel des Films, keinen so großen Raum ein. Im Mittelpunkt steht vielmehr die Entwicklung des begabten, aber trotteligen Protagonisten Rafael, in deren Verlauf teils aberwitzige Erlebnisse stehen. Abgesehen von den wenigen, in bester Wuxia-Tradition mit Wirework inszenierten Kampfszenen erinnert Sarnets Film eher an alberne Komödien mit Jackie Chan, nur dass eben ein blonder Hardrock-Fan hier als hochtalentierter Kämpfer auftritt und die ostasiatische Kampfkunst-Philosophie mit dem orthodoxen Christentum (inklusive Reliquien und einem weinenden Maria-Bildnis!) kombiniert werden, was wiederum überraschenderweise zusammenpasst.

Die klassische Heldenreise wird hier auf schräge Weise aufgezogen. Dabei treffen unterschiedliche Welten aufeinander: das einfache Leben der orthodoxen Mönche, die Rock’n’Roll-Attitüde des Helden, der eigenwillige Kitsch der 1970er in Estland und Hardrock-Klänge, wie ein mehrfach wiederholter Song von Black Sabbath. Dazu kommen ein paar schnelle Kameraschwenks und die üblichen cartoonhaften Soundeffekte. Aber leider auch ein paar Längen, denn Sarnet und sein Team übertreiben es vor allem mit letzten Drittel. Denn anstelle der passenderen 90 Minuten läuft The Invisible Fight fast zwei Stunden. Dennoch ein im besten Sinne eigenwilliger Streifen, der auch wegen seines gut aufgelegten Ensembles um Ursel Tilk als Rafael, Indrek Sammul als zauseliger Abt und Kaarel Pogga als skeptischer Bruder Irinei prächtig zu unterhalten vermag. 

Fazit: Quentin Tarantino trifft auf Bruce Lee und Jackie Chan in einem orthodoxen Kloster in Estland. Spaßiger Genre-Mix, der etwas mit Längen zu kämpfen hat. 7 von 10 Punkten.



Der alte Abt hat‘s auch noch drauf



Marius Joa, 5. Mai 2024. Bilder:LevelK.


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