Die elfjährige Sophie verbringt mit ihrem Vater Calum einen Urlaub in der Türkei, in Aftersun, dem preisgekrönten Langfilmdebüt von Charlotte Wells, welches ich Ende August im Open Air-Kino erleben durfte.
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Aftersun
Drama UK 2022. FSK: Freigegeben ab 12 Jahren. 101 Minuten. Kinostart: 15. Dezember 2022.
Mit: Paul Mescal, Frankie Corio, Celia Rowlson-Hall, Ruby Thompson, Brooklyn Toulson u.a. Drehbuch und Regie: Charlotte Wells.
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Urlaub mit Papa
Ende der 1990er. Sophie (Frankie Corio) ist elf Jahre alt und stammt aus Schottland. Ihre Eltern haben sich in gegenseitigem Einvernehmen getrennt. Mit ihrem nur zwanzig Jahre älteren Vater Calum (Paul Mescal), der mittlerweile in London lebt, verbringt das Mädchen einen Sommerurlaub in der Türkei. Sophie fängt Urlaubsimpressionen mit einem Camcorder ein und versucht immer wieder Interviews mit ihrem Vater zu inszenieren, der wenige Tage vor seinem 31. Geburtstag steht. Sowohl Vater und Tochter scheinen die gemeinsamen Aktivitäten wie Tauchen, Schwimmen und etwas Sightseeing zu genießen. In dem von britischen Touristen bevölkerten Urlaubsort lernt Sophie auch junge Erwachsene und den gleichaltrigen Michael (Brooklyn Toulson) kennen während Calum sich beim Tai Chi entspannt. Obwohl das Mädchen durchaus aufgeweckt ist, bemerkt sie die Traurigkeit und Verstimmung ihres Vaters kaum…
Charlotte Wells (geboren 1987), drehte einige Kurzfilme, bevor sie mit Aftersun ihr Langfilmdebüt als Drehbuchautorin und Regisseurin gab. Die Inspiration zur Geschichte erhielt Wells als sie mit 31 in alten Fotoalben kramte und erstaunt war, wie jung ihr früh verstorbener Vater damals im gleichen Alter aussah. An die späten 1990er Jahre konnte sich sie sich noch gut erinnern und wählte diese daher als Setting für die Handlung. Die Rolle des jungen Vaters Calum übernahm der irische Schauspieler Paul Mescal, welcher durch die irische Miniserie Normal People (2020) einen ersten schauspielerischen Erfolg feiern konnte. Für das Mädchen Sophie wurde Frankie Corio aus einer Auswahl von 800 Bewerberinnen gecastet. Für die damals Zehnjährige war es das Schauspieldebüt. Gedreht wurde in Ölüdeniz, im Südwesten der Türkei.
Aftersun bietet viele Zutaten eines klassischen Sommerurlaubs. Mit Ausnahme des Personals wird das türkische Hotel ausschließlich von britischen Touristen bevölkert. Die Mahlzeiten werden im Freien eingenommen und zum Freizeitprogramm gehört auch ein Karaoke- sowie ein Discoabend. Schwimmen, Tauchen, faul in der Sonne herumliegen, Billiard-Spielen mit älteren Jungs, die Calum erst für Sophies älteren Bruder halten sowie Gespräche zwischen Vater und Tochter über Dieses und Jenes. Mal mehr, mal weniger tiefgründig.
Nicht nur die teils durch die Videokamera eingefangenen Szenen, sondern auch zwischendrin eingestreute kurze Bilder zeigen, dass sich die erwachsene Sophie, gespielt von Celia Rowlson-Hall, zwanzig Jahre später an den Urlaub erinnert. Mittlerweile hat sie selbst ein kleines Kind und ist im gleichen Alter wie ihr Vater damals. Auch wenn es Sophie als Elfjährige nicht auffiel und es nie wirklich eindeutig ausgesprochen wird so erscheint es ziemlich klar, dass Calum unglücklich war und mit Depressionen kämpfte. Um diese Dämonen in den Griff zu bekommen, las er Selbsthilfe-Bücher und praktizierte Tai Chi. Obgleich es nur angedeutet wird, so ist davon auszugehen, dass er sich irgendwann nach dem Urlaub das Leben genommen hat.
Trotz der schönen gemeinsamen Zeit hängt also ein leichter düsterer Schleier über dem Urlaub von Vater und Tochter. Charlotte Wells inszeniert diese beschauliche, unbeschwerte Stimmung und die leicht mitschwingende Düsternis mit großer, dezenter Präzision und unprätenziöser Echtheit. In Paul Mescal und Frankie Coro hat sie die perfekten Akteure gefunden. Mescals Calum pendelt zwischen seiner Rolle als fürsorglicher, liebevoller Vater und kumpelhafter Typ, der eher wie ein älterer Bruder wirkt. Frankie Coro spielt Sophie meisterhaft als gleichzeitig aufgeweckt-altkluges und doch irgendwie ahnungsloses Mädchen.
Neben einem atmosphärischen Score von Oliver Coates punktet Aftersun mit einem eklektischen 1990er Soundtrack, der damalige Hits wie Marcarena von Los del Rio, Tubthumping von Chumbawamba und Losing My Religion von REM, den letztgenannten Song in einer kuriosen Karaoke-Version, beinhaltet. Eine der schönsten Tanzszenen der jüngeren Kinogeschichte untermalt Under Pressure von Queen und David Bowie.
Aftersun von Charlotte Wells ist Teil des Angebots von MUBI sowie als kostenpflichtiger Stream bei Amazon und Apple TV erhältlich.
Fazit: Authentisch eingefangenes, ambivalentes Drama über die Erinnerung an einen besonderen Urlaub von Vater und Tochter mit dem authentisch-starken Duo Paul Mescal und Frankie Corio in den Hauptrollen. 8 von 10 Punkten.
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Marius Joa, 7. September 2023. Bilder: MUBI.
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