Parlament (Serie)

Die Europäische Union hat in Zeiten der schier endlosen Brexit-Verhandlungen und dem immer weiter voranschreitenden Rechtsruck in einigen Staaten einen schweren Stand. Warum die EU als Völkerbund dennoch wichtig ist das zeigt ausgerechnet eine satirische Serie auf, die französisch-belgisch-deutsche Produktion Parlament.


Parlament (Parlement)
Politsatire Frankreich, Belgien, Deutschland 2020. 10 Folgen (Staffel 1). Gesamtlänge: ca. 260 Minuten.
Mit: Xavier Lacaille, Liz Kingsman, Lucas Englander, Philippe Duquesne, William Nadylam, Christiane Paul, Jane Turner u.v.a. Idee: Noé Debré. Drehbuch: Noé Debré, Daran Johnson, Pierre Dorac, Maxime Calligaro. Regie: Emilie Noblet und Jérémie Sein.

 

 

Ein kleiner Fisch im Haifischbecken der EU-Bürokratie
oder Europa ist wenn man trotzdem lacht

Der junge Samy Kantor (Xavier Lacaille) tritt seinen neuen Job als Assistent des französischen EU-Parlamentsabgeordneten Michel Specklin (Philippe Duquesne) in Brüssel an. Doch aller Anfang ist schwer. Michel entpuppt sich gleich als inkompetenter Duckmäuser, der sich sehr häufig im eigenen Büro verschanzt, um keine Gespräche führen oder Entscheidungen treffen zu müssen. Weil er auf einen dummen Streich für Anfänger hereinfiel sieht sich Samy plötzlich damit beauftragt einen Bericht zum Thema Finning zur Vorlage im Fischerei-Ausschuss zu bringen. Außerdem muss der junge Rookie bald feststellen, dass in Brüssel wenig so ist wie es scheint. Er trifft auf die Engländerin Rose (Liz Kingsman), Assistentin der erst seit kurzem Brexit-begeisterten Abgeordneten Sharon Redlion (Jane Turner), und den Deutschen Torsten (Lucas Englander). Torsten fungiert als rechte Hand der knallharten politischen Beraterin Ingeborg Becker (Christiane Paul), die Samy unverständlich klarmacht, wie die Dinge zu laufen haben. Samy muss noch viel lernen, vor allem wem er im Haifischbecken Brüssel vertrauen kann…

Trotz hochwertiger Nachrichten-Sendungen und journalistisch investigativer Formate, im Serienbereich serviert das öffentlich-rechtliche Fernsehen zumeist schalen Einheitsbrei. Die Geheimtipps werden dann im Nachtprogramm oder bei den kleinen Digitalsendern versteckt, so wie Parlament auf One. Die in Brüssel und Straßburg gedrehte Serie schafft das Kunststück ein gleichzeitig authentisches und satirisch überzeichnetes Bild der Vorgänge innerhalb der titelgebenden europäischen Institution zu zeigen.

Aus der Sicht des unbedarften jungen Assistenten Samy wird am Beispiel des Hai-Finnings (dem Abtrennen der Rückenflosse und anderer Flossen des Hais, was diesen langsam verenden lässt) der schwierige Entscheidungsprozess in Brüssel veranschaulicht. Denn im komplexen Geflecht der unterschiedlichen Interessen kommt die Lösung eines Konflikts oder Problem einem fast unmöglichen Balanceakt, einer wahrhaftigen Sisyphos-Arbeit gleich. Protagonist Samy begreift die EU nach und nach als Sammelsurium unterschiedlichster Interessen und konträrer Sichtweisen, als potenzielles Minenfeld.

Serienschöpfer Noé Debré (Dämonen und Wunder – Dheepan, Der verlorene Prinz und das Reich der Träume) und seine Co-Autoren vermitteln diese und andere Einsichten aber nicht als dröges (Doku-)Drama, sondern kleiden diese in eine mit geschickt eingesetzten Überzeichnungen arbeitenden Realsatire, vor allem bei diversen Figuren. Bei den Abgeordneten Michel und Sharon fragt man sich, wie die beiden irgendjemand ins EU-Parlament wählen konnte. Das lässt sich aber wohl damit erkennen, dass sie in Brüssel weniger Schaden als in der Heimat anrichten können! Der überängstliche Franzose hat sich seit seiner Wahl bisher erfolgreich vor allem gedrückt während seine britische Kollegin von der gemäßigten Konservativen zur glühenden Brexit-Verfechter mutiert ist. Beide scheinen von Europa so überhaupt keine Ahnung zu haben und so bleibt die wirkliche Arbeit an ihren wesentlich kompetenteren Gehilfen Samy und Rose hängen, aus deren Sicht die zehn knapp halbstündigen weitgehend erzählt werden. Einen ganz anderen Stand hat da die von (fast) allen gefürchtete deutsche Politberaterin Ingeborg, gespielt von Christiane Paul. In Samy, Rose und Torsten, dem Assistenten Ingeborgs, vereinen sich freilich auch etwas die ihren Herkunftsländern zugeschriebenen Klischees und Eigenarten. Als graue Eminenz im Hintergrund agiert der bedächtige, Autorität ausstrahlende Beamte Eamon (William Nadylam).

Die komplette erste Staffel von Parlament ist sowohl in der Originalfassung mit deutschen Untertiteln als auch in der deutschen Synchronfassung in der ARD-Mediathek abrufbar. Leider aber nur noch bis Dienstag, den 10. November 2020. Eine deutsche DVD- und BluRay-Auswertung steht noch aus. Immerhin wurde bereits eine zweite Season bestellt.

Fazit: Herrlich treffende, ambivalente Politsatire über einen jungen Assistenten, der sich im komplexen Dschungel der unterschiedlichen Interessen innerhalb der EU durchschlagen muss. 9 von 10 Punkten.

Marius Joa, 8. November 2020. Bilder: france.tv/BeTV/WRD/One.

 

 

 

 


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