Das blutrote Kleid

Das Horrorkino hält nicht nur unheimliche Kreaturen oder Spukhäuser bereits. Der heutige Beitrag des diesjährigen Horroctobers, Das blutrote Kleid von Peter Strickland (Berberian Sound Studio), dreht sich um mörderische Mode.


Das blutrote Kleid (In Fabric)
Horror/Psychothriller/Komödie UK 2018. FSK: Freigegeben ab 16 Jahren. 118 Minuten (BluRay).
Mit: Marianne Jean-Baptiste, Fatma Mohamed, Hayley Squires, Leo Bill, Jaygann Ayeh, Julian Barratt, Steve Oram, Richard Bremmer, Gwendoline Christie u.a. Drehbuch und Regie: Peter Strickland.

 


Suspiria Shopping oder Das Killerkleid

Sheila (Marianne Jean-Baptiste) arbeitet in einer Bank am Schalter und ist seit kurzem geschieden. Sie lebt zusammen mit ihrem Sohn Vince (Jaygann Ayeh), der bald seinen Schulabschluss macht, und mit Model Gwen (Gwendoline Christie) eine arrogante, dominante Freundin hat. Für ihr erstes Date nach der Scheidung kauft sich Sheila im Kaufhaus Dentley & Soper’s ein auffallendes Kleid in der Farbe arterienrot, welches ihr von der merkwürdigen und überaus eloquenten Verkäuferin (Fatma Mohamed) ans Herz gelegt wird. Doch mit der Zeit häufen sich mysteriöse Vorfälle. Sheila bekommt einen unerklärlichen Ausschlag und wird immer wieder wegen absoluten Nichtigkeiten zu ihren Chefs Stash (Julian Barratt) und Clive (Steve Oram) zitiert. Schließlich sucht sich das Kleid neue Besitzer: Babs (Hayley Squires) und Reg (Leo Bill), die bald heiraten wollen…

Von Peter Strickland, geboren am 21. Mai 1973 im englischen Reading als Sohn einer griechischen Mutter und eines britischen Vaters, hörte ich das erste Mal durch seinen zweiten Spielfilm Berberian Sound Studio (2012), welcher auf dem 39. Internationalen Filmwochenende im März 2013 in Würzburg gezeigt wurde. Darin erlebt ein von Toby Jones gespielter englischer Geräuschemacher die surrealen Vorgänge bei der Vertonung eines italienischen Films aus dem Genre Giallo. Strickland war damals persönlich vor Ort in Würzburg und erzählte von der kuriosen Produktion. Drei Jahre zuvor hatte er sein Langfilmdebüt, das in Transsylvanien für 28.000 Pfund gedrehte Rachedrama Katalin Varga (2009) veröffentlicht. In der Folge führte er bei Björk: Biophilia (2014), einem Konzertfilm der bekannten isländischen Musikerin, Regie und inszenierte mit dem Erotikdrama The Duke of Burgundy (2014) seinen dritten fiktiven Spielfilm. Ähnlich wie bei “Berberian” wandelt Strickland bei seiner vierten Regie-Arbeit wieder auf “Giallo-Pfaden”. Wie der deutsche Titel schon andeutet steht im Zentrum von Das blutrote Kleid (Originaltitel: In Fabric) ein gefährliches, verfluchtes Modeprodukt.

In Stricklands Werken (so vermute ich nach der Sichtung der Hälfte seiner Spielfilme) geht es weniger darum eine bis ins kleinste Detail ausgearbeitete Geschichte zu erzählen als vielmehr um die Erzeugung einer surrealen, ästhetisch auffallenden Stimmung sowie merkwürdige und absurde Vorkommnisse, welche die Figuren erleben. Inspiriert wurde der 48jährige zum vorliegenden Werk durch die Besuche in einem Bekleidungshaus während seiner Kindheit. Viele absolut normale Abläufe in einem solchen Kaufhaus dürften aus der Perspektive eines Kindes geheimnisvoll und unerklärlich sein. Strickland bebildert das, was sich ein Kind über die Vorgänge hinter den Kulissen eines Kaufhauses mit Schaufensterpuppen, kleinen Lastenaufzügen und anderen Besonderheiten vorstellen mag und spinnt dies im Stile eines düsteren Märchens weiter. Das Kleid kann seinem Träger Glück und Erfolg bringen, doch hat es leider einen ziemlich starken eigenen Willen. Die Verkäuferinnen wirken mit ihren hochgesteckten Haaren, den sehr hell geschminkten Gesichtern und den schwarzen Kleidern wie Hexen aus der osteuropäischen Sagenwelt. Das Mode-Kaufhaus wird hier zum mystischen Ort, wobei Shoppen eben auch zum Albtraum werden kann.

Insgesamt erweist sich In Fabric nicht als klar strukturierter Horror-Streifen, sondern eher als surrealer Mode-Albtraum, der die eigentliche Handlung immer wieder durch fragmentarische Bilderfolgen von, wie ich vermute, Archivmaterial aus der Modewelt der 1970er, unterbricht. Die Story spielt sich definitiv nicht in unserer Gegenwart ab, allerdings lässt sich die genaue Zeit aufgrund des teils anachronistischen Settings nicht wirklich festlegen. Kameraführung, Schnitt und die Farbgebung rekreieren den visuellen Stil des Giallo-Kinos gekonnt, übertreiben es mit den charakteristischen Stilmittel aber nicht zu sehr. Das Trio von Cavern of Anti-Matter (Tim Gane, Holger Zapf und Joe Dilworth) komponierte dazu einen herrlich unheimlichen Retro-Score.

Strickland unterfüttert seinen eigenwilligen Arthouse-Horror nicht nur mit leichter Konsumkritik (vor allem im furiosen Finale), sondern fügt auch diverse Elemente absurder Komik ein. Da wäre vor allem die von Fatma Mohamed, die bisher in allen Filmen des Regisseurs mitgespielt hat, verkörperte Verkäuferin, die einerseits aufgrund des oben beschriebenen Aussehens schaurig wirkt, mit ihrem hochgestochenen Gelaber mit der Zeit an Humor gewinnt. Außerdem die absolut hirnrissig-übertriebene Kritik der beiden Bankchefs, gespielt von Julian Barratt (The Mighty Boosh) und Steve Oram (The End of the F***ing World) an ihrer Mitarbeiterin. Oder die “Hypnose-Fähigkeiten” eines Waschmaschinenmonteurs. Das blutrote Kleid steckt neben seiner Grundprämisse eben auch voller derber, witziger Szenen, die vielleicht nicht so ganz zum restlichen Film passen, aber als humoristische Accessoires glänzen. Man muss sich auch damit abfinden, dass die ein oder andere Figur oder mancher Teil der Geschichte nicht weiterverfolgt wird. Mit den bereits erwähnten Akteuren sowie Marianne Jean-Baptiste (Without a Trace) als Sheila, Gwendoline Christie (Game of Thrones) als Gwen, Hayley Squires (Ich, Daniel Blake) als Babs, Leo Bill (The Fall) als Reg und Richard Bremmer (Der 13te Krieger) als schmieriger Kaufhausbesitzer versammelt Das blutrote Kleid ein illustres und starkes Ensemble. 2022 soll Peter Stricklands fünfter Film erscheinen. Flux Gourmet wird in der Welt einer hochwertigen Kochschule spielen. Vielleicht wird es ja ein Food-Giallo! 😉

Das blutrote Kleid ist seit dem 27. Mai 2021 auf BluRay und DVD erhältlich sowie bei diversen Streaminganbietern verfügbar. Die BluRay enthält neben dem Trailer in Englisch bzw. Deutsch sowie entfallenen Szenen (12 Min.) auch Interviews mit Autor/Regisseur Peter Strickland (19 Min.) und Kostümbildnerin Jo Thompson (14 Min.)

Fazit: Mit seiner vierten Regie-Arbeit liefert Peter Strickland einen psychedelischen, blutigen, absurd-komischen und eigenwilligen Arthouse-Horrorfilm über ein Kleid mit tödlichem Eigenleben. 8 von 10 Punkten.



Sheila zieht das Kleid an

Die Mitarbeiter von Dentley & Soper’s
 

Die arrogante Gwen (Gwendoline Christie)

 

Marius Joa, 30. Oktober 2021: Bilder: Koch Films.

 

 


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