Moon Child

Für das Finale meines kleinen Horroctobers 2019 habe ich einen obskuren spanischen Film ausgegraben: Moon Child von Regisseur Agustí Villaronga, der unter Mitwirkung einer genialen australischen Band entstand…

Moon Child (El Niño de la Luna)
Mystery/Fantasyfilm Spanien 1989. 120 Minuten.
Mit: Enrique Saldana, Lisa Gerrard, Maribel Martín, Lucia Bosé, David Sust u.a. Drehbuch und Regie: Agustí Villaronga. Inspiriert durch den Roman Moon Child von Aleister Crowley.

 

Von Müttern, Kindern und der Macht des Mondes

David (Enrique Saldana) lebt in einem Waisenhaus und hat besondere Fähigkeiten. Eines Tages wird der 12jährige überraschend von einer Frau namens Victoria (Maribel Maritn) quasi adoptiert. Victoria nimmt den Jungen mit in eine Art wissenschaftliche Einrichtung, in welcher auch andere “begabte” Kinder leben. Die dortige Direktorin (Lucia Bosé) plant für die nächste Vollmondnacht die Zeugung eines mächtigen Mondkindes durch zwei sorgfältig ausgewählte Probanden: die nervöse Georgina (Lisa Gerrard) und den kurzsichtigen Edgar (David Sust). Aufgrund seiner merkwürdigen Begabung hält sich David selbst für das Kind des Mondes. Nach dem Zeugungsakt ist Georgina von Edgar schwanger. David überredet das junge Paar zur gemeinsamen Flucht. Denn nach der Geburt des Kindes werden die Eltern für die Wissenschaftler entbehrlich. Gemeinsam versucht sich das flüchtige Trio bis nach Afrika durchzuschlagen…

 Georgina (Lisa Gerrard)

Warum ausgerechnet ein 30 Jahre alter spanischer Film, der fast in Vergessenheit geriet? Diese Frage lässt sich ganz einfach mit drei Worten beantworten: Dead Can Dance. Als ich vor gut 15 Jahren die Musik des in Melbourne entstandenen Projektes, bestehend aus Lisa Gerrard (geboren 1961) und Brendan Perry (geb. 1959), entdeckte fand ich meine absolute Lieblingsband. Seit fast 40 Jahren vermischt das Duo auf einmalige Weise Weltmusik, Neoklassik, Gothic Rock, Art Rock, Post Punk und andere Stilrichtungen, vereint dabei kongenial zwei völlig unterschiedliche Gesangsformen: Lisa Gerrards idiosynkratischer, wortlos-vokalisierender Gesang und Brendan Perrys sanfte Baritonstimme, dessen kritisch-poetische Lyrics ihresgleichen suchen. Zwar blieb DCD der Erfolg im Mainstream (glücklicherweise) verwehrt, über die Jahrzehnte erarbeitete sich die Band aber eine treue Fangemeinde.

Doch zurück zum vorliegenden Film. Fand die Musik von Dead Can Dance immer wieder in Kinofilmen und Fernsehserien-Episoden Verwendung so sollte die Gruppe ein einziges Mal einen kompletten Score erschaffen: für Moon Child, einen Film des spanischen Regisseurs Agustí Villaronga (Im Glaskäfig), der 1989 seine Premiere bei den Internationalen Filmfestspielen von Cannes feierte. Zusätzlich zur Arbeit am Soundtrack übernahm Lisa Gerrard (irgendwo habe ich gelesen, sie sei damals mit dem Regisseur liiert gewesen) eine der drei zentralen Rollen. Für DCD-Fans also schon zwei Gründe für eine Sichtung. Doch jahrelang war das Werk nur sehr schwer zu kriegen. Bis der vom holländischen Undergroundfilmemacher Nico B ins Leben gerufene Verleih Cult Epics Moon Child im April 2018 auf DVD und BluRay neu veröffentlichte.

Aufgrund der ansonsten eher “abartigen” Streifen im Angebot von Cult Epics hielt ich Villarongas Spielfilm vor der Sichtung für einen Horrorstreifen. Das ist er aber im Grunde nicht. Stattdessen bewegt sich die Geschichte irgendwo zwischen Fantasy und Mystery im Gewand eines Art “modernen” Märchens, das in einer Welt spielt, welche den 1930ern ähnelt. Wirklich verstörend geht es hier eigentlich nie zu. Villarongas inszeniert die nicht sehr detailliert ausgearbeitete Handlung in einem Stil, den man vielleicht als reduzierten magischen Realismus bezeichnen könnte, mit teils langen panorama-artigen Kamerafahrten und an die Frühzeit des Kinos erinnernden Szenenwechseln.

Moon Child erzählt ein Märchen für Erwachsene, aber aus einer etwas naiven, kindlichen Sichtweise. Protagonist David hat besondere Kräfte, die im Zusammenhang mit dem Erdtrabanten stehen. Wie ein normales Kind sehnt er sich nach einer Mutter. Ausgerechnet die psychisch angeschlagene, von ihrer Schwangerschaft und anderen Strapazen gezeichnete Georgina hat David für diese Rolle auserkoren. Hin- und hergerissen zwischen ihren mütterlichen Gefühlen für den Jungen und ihren Verpflichtungen gegenüber ihren Vorgesetzten zeigt sich dagegen Wissenschaftlerin Victoria. El Niño de la Luna (so der Originaltitel) lässt sich auch als Coming-of-Age-Story und als eigentümliche Reise zu einem mystischen Ziel verstehen. Der Film erklärt nicht viel, lässt dafür seine Bilder und die Performances der Akteure für sich sprechen. Der starke Kinderdarsteller Enrique Saldana (wenn man imdb.com glauben darf war dies sein einziger Film) verkörpert David mit einer Mischung aus Staunen, Neugier und Entschlossenheit. Die andere denkwürdige Darbietung liefert Lisa Gerrard als Georgina. Die damals 27jährige Australierin meistert ihre einzigen Auftritt als Schauspielerin mit viel Hingabe und großer Ausdrucksstärke.

Der Score von Dead Can Dance klingt mit seinen eher drone-lastigen Instrumentalstücken zum Teil wie andere Alben der Band aus den 1980ern, setzt nur im letzten Drittel auf Gesang von Lisa Gerrard, in der musikalischen Untermalung der Afrikareise. Für Fans dürfte sich die Sichtung dieses fast vergessenen Arthouse-Fantasyfilms sicherlich lohnen.

Moon Child ist als HD-Version am 24. April 2018 in einem DVD-BluRay-Combopack bei Cult Epics in der spanischen Originalfassung mit zuschaltbaren englischen Untertiteln erschienen. Als Bonusmaterial gibt es ein Interview mit dem Regisseur vom Februar 2018, eine Fotogalerie und den Soundtrack von Dead Can Dance (quasi als Hörspiel mit Szenen aus dem Film).

Fazit: Über weite Strecken unaufgeregt inszenierte Odyssee eines besonderes Kindes im Gewand eines mystischen Märchens, mit Dead Can Dance-Sängerin Lisa Gerrard in ihrer einzigen Filmrolle. 8 von 10 Punkten.

David und Victoria
Die Direktorin

 


Marius Joa, 31. Oktober 2019. Bilder: Cult Epics.

 


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Kommentare

Eine Antwort zu „Moon Child“

  1. Avatar von Lisa
    Lisa

    Der Film hat eine einzigartige Atmosphäre und die Charaktere sind recht “untypisch” für Geschichten aller Formen (Buch, Spielfilm etc.)
    Zur heutigen Zeit würde man sicher die Handlung nochmal etwas verändern, aber die Kamera-Arbeit und der Schnitt waren seiner Zeit um Meilen voraus!
    Ich fand Ms. Gerrards Rolle zugleich lustig als auch tragisch. Die Art erinnert mich an Edwards
    mit den Scherenhänden.

    David geht es nicht ganz darum, eine Mutter zu haben. Es will von Georgina “wiedergeboren” werden (um seine Kräfte vollständig entfalten zu können?), wenn ich es richtig verstanden habe. Er musste während des Zeugungsakt, seine Mond-Kräfte einsetzen. Die Handlung verwirrt mich auch sehr.

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