Freda

In ihrem Spielfilm-Regiedebüt Freda widmet sich Schauspielerin/Autorin/Filmemacherin Gessica Généus der Lebenswirklichkeit im von Korruption und Wirtschaftskrise gebeutelten Haiti. Das Drama wurde auf dem 49. Internationalen Filmwochenende in Würzburg gezeigt.

Freda
Drama Haiti, Benin, Frankreich, Katar 2021. 93 Minuten.
Mit: Néhémie Bastien, Djanaïna François, Fabiola Remy, Gaëlle Bien-Aimé, Jean Jean, Cantave Kervern, Rolaphton Mercure u.a. Drehbuch und Regie: Gessica Généus.

Alltag in Haitis Hauptstadt

Freda (Néhémie Bastien) ist eine junge Frau, die mit ihrer Mutter Jeanette (Fabiola Remy) und ihren ebenfalls erwachsenen Geschwistern Esther (Djanaïna François) und Moïse (Cantave Kervern) in einem beliebten Viertel von Port-au-Prince auf engstem Raum lebt. Die Familie betreibt einen klitzekleinen Laden von ihrem Haus aus. Eigentlich studiert Freda Anthropologie, doch der Vorlesungsbetrieb wird immer wieder durch Streiks der Dozenten und politische Debatten unterbrochen. Jeanette hat für ihre drei Kinder große Pläne. Esther, die ihre Haut mit Cremes bleicht und bei den Herren recht beliebt ist, soll einen reichen Mann heiraten. Für ihren Sohn Moïse wünscht sich die Mutter ein Stipendium zum Studium im Ausland. Freda soll trotz ihres Studiums und der Arbeit im Laden einen Job als Bedienung im Hotel einer reichen weißen Madame anfangen. Fredas Freund Yeshua (Jean Jean) kehrt aus dem Krankenhaus zurück, nachdem er durch eine verirrte Kugel von einem Gefecht zwischen Polizei und Demonstranten verletzt wurde. Traumatisiert von diesem Vorfall möchte Yeshua mit Freda in die sichere, benachbarte Dominikanische Republik auswandern. Doch wie wird sich die junge Frau entscheiden?

Das jährlich stattfindende Internationale Filmwochenende in Würzburg bietet natürlich eine gute Gelegenheit für cineastische Reisen in Länder und Regionen, die man hierzulande vielleicht sonst nicht so auf dem Schirm hat. Nach drei deutschsprachigen Werken und einem aus Norwegen wollte ich ähnlich wie in den Vorjahren (Nafi’s Father aus dem Senegal, The Gravedigger’s Wife aus Somalia) einen Beitrag aus eher unbekannten Gefilden kennen lernen. Meine Wahl fiel daher auf Freda von Gessica Généus, in welchem die titelgebende Protagonistin und ihr Umfeld mit den harten Lebensumständen in Port-au-Prince, der Hauptstadt Haitis, zu kämpfen haben.

Die ehemalige französische Kolonie Haiti, welche den Westteil der zu den Großen Antillen gehörenden Insel Hispaniola bildet, leidet seit der Unabhängigkeit 1804 unter Spannungen und Machtkämpfen, welche eine geordnete Entwicklung von Wirtschaft und Gesellschaft verhinderten. Das überaus verheerende Erdbeben am 12. Januar 2010 mit 316.000 Todesopfern und die Wirtschaftskrise verschlimmerten die Zustände noch dazu und so gilt das Land als ärmstes in der westlichen Hemisphere. Als großes Problem erwiesen sich auch diverse Kleptokraten, die einen Großteil der 11 Milliarden internationalen Hilfsgelder einsackten, sowie Korruption. Gessica Généus verarbeitet diese ungünstigen Gegenheiten zu einem stimmigen Film, der trotz der herrschen Situation nie in cineastischen Elendstourismus abdriftet.

Nicht nur die Geschichte der Titelheldin wird erzählt, sondern zusätzlich ihre Familie in den Fokus gerückt. Mutter Jeanette hat sich im Laufe ihres Lebens sehr dem Christentum zugewandt (daher auch die Namenswahl bei ihren beiden jüngeren Kindern) und möchte für ihre Lieben nur das beste, was aber nicht immer den Wünschen des Nachwuchses entspricht. Mögliche Auswege aus der Misere werden anhand der einzelnen Figuren präsentiert: sozialer Aufstieg durch Heirat, Auswanderung in die benachbarte Dominikanische Republik oder nach Lateinamerika und eventuell Studium im Ausland durch ein Stipendium. Doch bedeuten diese auch, dass man die eigene Familie alleine zurücklassen würde. Einem Dilemma in welchem sich auch die Hauptfigur wiederfindet.

Dieses Leben im Spannungsfeld zwischen Armut, familiären Erwartungen, postkolonialen Strukturen, Christentum und Voodoo inszeniert die Regisseurin völlig authentisch und unaufgeregt. Die Kamera von Karine Aulnette (Auf der Parkbank) bleibt immer sehr nah an den Akteuren und veranschaulicht so auch die Enge des kleinen Hauses, in welchem Freda mit ihrer Familie wohnt (alle drei erwachsenen Kinder müssen sich ein Doppelbett teilen). Ergänzt wird die fiktionale Handlung auch durch Bildmaterial von realen Demonstrationen, bei welchen gegen ein ungleiches System von Kleptokratie und Korruption protestiert wird. Doch inmitten der ganzen zerfahrenen Lebenswirklichkeit finden sich auch Momente des Glückes, etwa wenn Freda mit Freunden im lokalen Club feiert. Vor allem das starke Schauspieler-Ensemble um Néhémie Bastien als Freda und Fabiola Remy als Jeanette sorgt dafür, dass sich die fiktionale Handlung sehr echt anfühlt.

Freda von Gessica Généus ist als Stream Teil des Angebots von Sooner und des über Prime Video abonnierbaren Realeyz Channel.

Fazit: Nüchtern-authentisches Bild der schwierigen Verhältnisse in Haitis Hauptstadt anhand des Alltagslebens der Titelfigur und ihrer Familie. 8 von 10 Punkten.

Esther, Freda, Mutter Jeanette und Moïse
Esther und Freda
Der Laden
Proteste

Marius Joa, 5. Februar 2023. Bilder: Nour Films.


Beitrag veröffentlicht

in

von

Kommentare

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

WordPress Cookie Hinweis von Real Cookie Banner