Niemals Selten Manchmal Immer

Abtreibung, ein schwieriges Thema. Und doch findet Regisseurin Eliza Hittman in ihrem Spielfilm Niemals Selten Manchmal Immer genau den richtigen Ton, Schwangerschaftsabbruch und damit verbundene Problematiken darzustellen.


Niemals Selten Manchmal Immer (Never Rarely Sometimes Always)
Drama USA, UK 2020. FSK: Freigegeben ab 6 Jahren. 101 Minuten. Kinostart: 1. Oktober 2020.
Mit: Sidney Flanigan, Talia Ryder, Théodore Pellerin, Sharon Van Etten, Ryan Eggold, Kelly Chapman, Mia Dillon u.a. Drehbuch und Regie: Eliza Hittman.

 

 

Odyssee einer jungen Frau

Autumn (Sidney Flanigan) ist 17 Jahre alt und arbeitet nach der Schule mit ihrer gleichaltrigen Cousine Skylar (Talia Ryder) in einem Supermarkt. Da muss Autumn feststellen, dass sie schwanger ist. Mit Hilfe oder Verständnis ihrer gleichgültigen Eltern (Sharon Van Etten; Ryan Eggold) kann sie nicht rechnen. Schließlich kratzt Skylar etwas Geld zusammen und die beiden Mädchen machen sich auf eine lange Busreise nach New York. Denn im ländlichen Pennsylvania ist eine Abtreibung ohne Einverständnis der Eltern nicht möglich. In New York angekommen muss Autumn bald mit neuen Schwierigkeiten kämpfen…

Unverständlich, dass selbst in einem sich als fortschrittlich und modern präsentierten Land wie den USA für Frauen der Zugang zu Schwangerschafts-abbrüchen immer noch sehr erschwert wird. Das ist sicherlich vor allem auf die einflussreiche christliche Rechte zurückzuführen. Dabei zählt die Selbstbestimmung für den eigenen Körper doch zu den unveräußerlichen Grundrechten eines jeden Menschen. Die Idee zu einem Film über Abtreibung kam Filmemacherin Eliza Hittman als sie von einer Frau aus Irland hörte, der nach einer unvollständigen Fehlgeburt eine Abtreibung verweigert wurde und die dann an den Folgen einer Blutvergiftung starb. Seine Premiere feierte Niemals Selten Manchmal Immer, Hittmans dritte Regiearbeit, im Januar 2020 auf dem Sundance Film Festival, wo der Film mit dem “U.S Dramatic Soecial Jury Award” ausgezeichnet wurde. Auf der diesjährigen Berlinale gewann Eliza Hittman den Silbernen Bären.

Ein solch heikles Thema wie Schwangerschaftsabbruch bietet natürlich viel Potenzial, um klare Positionen zu propagieren oder Missstände auf dramatische Weise aufzuzeigen. Doch die Autorin und Regisseurin wählt keinen dieser Wege und beschränkt sich in ihrer Geschichte um die nüchterne Darstellung des schwierigen Weges einer jungen Frau, die eine Odyssee auf sich nimmt, um eine ungewollte Schwangerschaft zu beenden. Die Kamera von Hélène Louvart (u.a. Pina, Meine geniale Freundin) bleibt stets ganz nah an der Protagonistin und ihrer als “Komplizin” fungierenden Cousine. Das gibt der ganzen Handlung eine dokumentarische, unprätentiöse Unmittelbarkeit, die sich für mich durch die Sichtung der Originalfassung mit Untertiteln noch verstärkt hat. Dazu liefert die von mir sehr verehrte, virtuose Komponistin und Sängerin Julia Holter einen sehr reduzierten und doch einfühlsamen Score ab, ihre zweite Filmmusik nach dem Boxer-Drama Bleed For This (2016). Musikerin Sharon Van Etten, die Autums Mutter spielt, singt den Abspann-Song Staring At a Mountain.

Das ebenfalls von Hittman verfasste Drehbuch stülpt den Geschehnissen keine künstliche Dramaturgie über, sondern lässt der Reise der beiden jungen Frauen, zum großen Teil im Bus oder in klaustrophobisch anmutenden U-Bahn-Waggons, ihren natürlichen, organischen Lauf. Dabei gibt es insgesamt wenig Dialoge, vielmehr sollen die Bilder und das Spiel der Darsteller für sich sprechen. Der Titel bezieht sich auf die zentrale Szene, in welcher Autumn ein letztes Gespräch vor dem Eingriff mit einer Sozialarbeiterin hat (die einfühlsam von einer echten Sozialarbeiterin gespielt wird) führt und dabei Fragen zu ihrem Sexualleben mit den vier Antwortmöglichkeiten “Never, rarely, sometimes, always” beantworten soll. Im Grunde ein langer Take auf das Gesicht von Hauptdarstellerin Sidney Flanigan, die mit einer zurückhaltenden und zugleich eindringlichen Performance als junge Frau, die bereits sexuelle Gewalt erfahren musste, überzeugt. Auch wenn der Film keinerlei direkte Stellung bezieht so wird angedeutet, dass Autumn und Skylar in einer von Männern dominierten Gesellschaft leben und mit “leichten Übergriffen” durch das andere Geschlecht zu leben haben.

Fazit: Nüchtern-realistisches, aber eindringliches Drama über ein schwieriges Thema. 9 von 10 Punkten.

 


Marius Joa, 9. Oktober 2020. Bilder: Universal.

 


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