Das weiße Rentier

Recht spontan kam der Entschluss, Das weiße Rentier in das Programm meines diesjährigen Horroctobers aufzunehmen. Der 70 Jahre alte finnische Märchenfilm handelt von einer jungen Frau, die nach einem missglückten Liebeszauber zur gestaltwandelnden Vampirin wird.


Das weiße Rentier (Valkoinen peura)
Märchenfilm/Horror Finnland 1952. 68 Minuten.
Mit: Mirjami Kousmanen, Kalervo Nissilä,
Åke Lindman, Arvo Leheesma, Juoni Tapiola, Aarne Tarkas, Inke Tarkas u.v.a. Drehbuch: Erik Blomberg und Mirjami Kousmanen. Regie: Erik Blomberg.

 

 

Liebeszauber außer Kontrolle

Im finnischen Teil Lapplands. Bei einem Rentier-Schlitten-Rennen trifft die junge Pirita (Mirjami Kousmanen) auf den Hirten und Jäger Aslak (Kalervo Nissilä). Mit dem Einverständnis ihrer Eltern heiraten die beiden und beginnen ihr gemeinsames Leben. Das Glück hält allerdings nicht lange an. Da Aslak immer wieder längere Zeiten abwesend ist um mit den anderen Hirten die Rentier-Herden zu bewachen fühlt sich die junge Ehefrau allein. Pirita bittet den Schamanen Tsaikku-Nilla (Arvo Leheesma) um Rat. Dieser rät ihr das erste Lebewesen, welches ihr begegnet, dem Steingott zu opfern und verspricht, das ihr kein Hirte mehr wird widerstehen können. Pirita opfert ein weißes Rentier-Kitz. Der Zauber wirkt, doch hat er schaurige Nebenwirkungen. Immer wieder verwandelt sich Pirita in ein weißes Rentier und greift die ihr nachstellenden Männer an. Nachdem die erste Leiche gefunden wird sind sich die Dorfbewohner sicher, dass eine Hexe ihr Unwesen treibt…

Basierend auf finnischer Mythologie und dem Schamanismus des in Nordskandinavien lebenden indigenen Volkes der Samen entstand der vor 70 Jahren veröffentlichte, in Lappland gedrehte und angesiedelte Film Das weiße Rentier (finnischer Originaltitel Valkoinen peura; schwedischer Titel Den Vita Renen). Der finnische Filmemacher Erik Blomberg (1913-1996), der auch für Kamera und Schnitt verantwortlich zeichnete, gab hier sein Langfilmdebüt als Regisseur. Das auf einer Sage basierende Drehbuch schrieb er gemeinsam mit seiner Ehefrau Mirjami Kousmanen (1915-1963), welche die Hauptrolle der Pirita übernahm. Ursprünglich war Produzent Aarne Tarkas, auch in einer Nebenrolle zu sehen, für die Regie vorgesehen. Das weiße Rentier nahm auch am Wettbewerb des Filmfestivals von Cannes 1953 teil und gewann in der Kategorie Bester Märchenfilm. Nach dem Kinostart in den USA wurde das Werk als einer von fünf Beiträgen mit dem Preis für den besten fremdsprachigen Film bei den Golden Globes 1956 ausgezeichnet. 2016 folgte die digitale Restaurierung durch KAVI, das nationale audiovisuelle Institut Finnlands.

Die Geschichte bewegt sich irgendwo zwischen angenehm altmodischem Märchen und Folk-Tale-Horror. Durch die Schwarzweiß-Bilder kommt die karge, verschneite Landschaft natürlich noch besser zur Geltung. Die Dreharbeiten fanden laut dem imdb.com-Eintrag übrigens im Frühjahr bzw. Sommer statt und dennoch ist die ganze Szenerie ständig verschneit. Generell besticht Valkoinen peura durch seine naturalistische Machart, welche dem Film einen fast dokumentarischen Charakter verleiht. Was die Verwandlung der Protagonistin in ein Rentier angeht so erfolgt diese ohne große Tricktechnik, sondern lediglich durch effektiven Gebrauch von Kameraperspektiven und Montage. Wirklich effektheischend erscheint hier nur die fast allgegenwärtige, aber durchaus stimmungsvolle Musik von Einar Englund (1916-1999), einem der einflussreichen Komponisten Finnlands.

Die Geschichte funktioniert natürlich auch als Spiegelbild alter Sitten und Ansichten, vor allem was das Frauenbild angeht. Die Freiheit in der Natur und dadurch frei zu sein haben in der gezeigten Gesellschaft nur die Männer, während die Frauen brav zuhause warten und sich um den Haushalt kümmern dürfen. Piritas Wunsch nach mehr im Leben macht sie zur Außenseiterin. Frauen wie sie wurden nur wenige Jahrhunderte zuvor noch als Hexen verfolgt und ermordet. Hauptdarstellerin Mirjami Kousmanen beeindruckt in dieser widersprüchlichen Rolle durch ihre eigentümliche Präsenz und Mimik. Generell besticht das Ensemble durch Gesichter, welche man sonst nur selten in einem Film zu sehen bekommt, in einem idyllischen, aber gleichzeitig dezent unheimlichen Setting.

Das weiße Rentier ist seit dem 19. Oktober 2022 Teils des Angebots von MUBI.

Fazit: Naturalistischer Märchen-Horror aus Lappland. 7 von 10 Punkten.

 

Rentier-Schlitten-Rennen

Das weiße Rentier

 


Marius Joa, 23. Oktober 2022. Bilder: MUBI/Suomi Filmi/VL Media.

 

 


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Kommentare

Eine Antwort zu „Das weiße Rentier“

  1. Avatar von Gina

    Wow, der Film ist ja wirklich alt.

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