A Haunting in Venice

Schauspieler/Regisseur Kenneth Branagh und Drehbuchautor Michael Green haben es wieder getan, nämlich einen Roman von Agatha Christie mit Hercule Poirot als Hauptfigur fürs Kino adaptiert. Mit Halloween Party traf es dieses Mal einen weniger bekanntes Werk. Was dabei herauskam kann man unter dem Titel A Haunting in Venice seit zwei Wochen in den Kinos sehen.



A Haunting in Venice
Krimi/Thriller UK, USA 2023. FSK: Freigegeben ab 12 Jahren. 103 Minuten. Kinostart: 14. September 2023.
Mit: Kenneth Branagh, Kyle Allen, Camille Cottin, Jamie Dornan, Tina Fey, Jude Hill, Ali Khan, Emma Laird, Kelly Reilly, Riccardo Scamarcio, Michelle Yeoh u.a. Frei nach dem Roman Halloween Party von Agatha Christie. Drehbuch: Michael Green. Regie: Kenneth Branagh.



Er kann’s nicht (lassen)

Venedig, 1947. Meisterdetektiv Hercule Poirot (Kenneth Branagh) hat sich nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges in die Lagunenstadt zurückgezogen und zur Ruhe gesetzt. Um vor lästigen, ungebetenen Besuchern geschützt zu sein hat Poirot den Ex-Polizisten Vitale Portfoglio (Riccardo Scamarcio) als Leibwächter engagiert. Da taucht Poirots alte Freundin, die Krimi-Schriftstellerin Ariadne Oliver (Tina Fey), auf und überredet ihn, an Halloween einer Séance im Palazzo der früheren Opernsängerin Rowena Drake (Kelly Reilly) beizuwohnen. Das berühmte Medium Joyce Reynolds (Michelle Yeoh) soll Kontakt mit Rowenas verstorbener Tochter Alicia, die vor Jahren Selbstmord begangen hatte, aufnehmen. Auch der Arzt Dr. Leslie Ferrier (Jamie Dornan), sein aufgeweckter Sohn Leopold (Jude Hill), Mrs. Drakes Haushälterin Olga Seminoff (Camille Cottin) und Alicias früherer Verlobter Maxime Gerard (Kyle Allen) sind anwesend.

Joyce spricht während der Séance mit der Stimme Alicias und behauptet eine der anwesenden Personen habe sie ermordet. Wenig später wird das Medium tot aufgefunden. Zudem sorgt ein heftiger Sturm dafür, dass Mrs. Drake und ihre Gäste im Palazzo festsitzen. Unterstützt von Ariadne Oliver beginnt Poirot sogleich mit seinen Ermittlungen und befragt alle Anwesenden nacheinander. Der Detektiv glaubt nicht an die im Verlauf des Abends erwähnten Geschichten um mögliche Geister im Palazzo, doch häufen sich die mysteriösen Phänomene…

Ich bin ein großer Fan der Verfilmungen von Agatha Christies Romanen Mord im Orientexpress (1974) von Sidney Lumet und Tod auf dem Nil (1978) von John Guillermin. Von erstem Roman schätze ich zudem die Episode aus der Serie Poirot (2010). Der vor allem für seine Shakespeare-Filmadaptionen bekannte Schauspieler und Regisseur Kenneth Branagh (u.a. Viel Lärm um Nichts [1993] oder die Volltext-Adaption von Hamlet [1996]) hat sich in den letzten Jahren an Neuadaptionen versucht, in welchen er in Personalunion inszenierte und die zentrale Hauptrolle des eigenwilligen belgischen Detektiv Hercule Poirot übernahm. Sowohl die neue Version von Mord im Orientexpress von 2017 (noch mehr in der Zweitsichtung) als auch die von Tod auf dem Nil (2022) halte ich für unnötig bzw. überwiegend misslungen. Nun hat sich Branagh, der für sein auf der eigenen Kindheit in Nordilrland basierendes, bewegendes Drama Belfast (2021) zurecht einen Drehbuch-Oscar erhielt, gemeinsam mit Autor Michael Green (American Gods, Blade Runner 2049) ein weniger bekanntes Werk der großen Krimi-Schriftstellerin für die Leinwand adaptiert: Halloween Party (1969; Originaltitel Hallowe’en Party, auf Deutsch auch als Schneewittchen Party erschienen).  

Den Schritt ein Christie-Werk zu wählen, das nicht schon durch eine Verfilmung mit Klassikerstatus einem Millionenpublikum bekannt ist, klingt erst einmal sinnvoll, denn so gehen Branagh und sein Team einem Vergleich aus dem Weg, den sie mit den bisherigen beiden Neuverfilmungen klar verloren haben. Wobei man ergänzen muss, dass Halloween Party schon einmal adaptiert wurde, nämlich 2010 als dritte Folge der 12. Staffel der bereits erwähnten Serie Poirot, in welcher David Suchet die Rolle des eigenwilligen belgischen Schnüfflers brilliant ausfüllt. Die von Mark Gatiss geschriebene und Charles Palmer inszenierte TV-Episode gehört jetzt nicht wirklich zu den großen Highlights der Serie, aber Branaghs und Greens Leinwandversion erweist sich aus meiner Sicht als die schwächere der beiden Fassungen.

Inszenatorisch kann man A Haunting in Venice keinen Vorwurf machen. Die Verlegung der Handlung von einem beschaulichen Ort in der englischen Provinz in die malerische Lagunenstadt macht völlig Sinn und die Tatsache, dass im Vergleich zu Tod auf dem Nil von 2022 nicht nur im Studio vor Greenscreen gedreht wurde, sondern tatsächlich in Venedig, gereichen dem Film nicht zum Nachteil. Die Innenaufnahmen entstanden in den Pinewood Studios. Auch schafft es die Inszenierung, gekonnt die bedrohlich-unheimliche Stimmung im heruntergekommenen Palazzo zu erzeugen und als Zuschauer*in kann man die beklemmende Atmosphäre gut nachfühlen. Einige Szenen sind allerdings etwas zu dunkel geraten.

Auf einer Halloween-Party erzählt die 13jährige Joyce Reynolds vor versammelter Gästeschar, dass sie einst einen Mord beobachtet hat. Kurze Zeit später wird das Mädchen ermordet aufgefunden. Dies ist die Prämisse von Christies Roman und der Serienfolge von Poirot. Branagh und Green verändern Figuren und Setting stark. In ihrer Version ist Joyce Reynolds eine Spiritualistin, die angeblich mit Toten zu sprechen vermag. Mit Ausnahme des Opfers gleichen Namens und teilweise der Identität des Mörders haben die literarische Vorlage/die TV-Adaption und der neue Kinofilm eigentlich nichts gemeinsam.

Das wäre jetzt grundsätzlich kein Problem, doch leider entpuppt sich die vorliegende Story als ziemlich albern und teilweise unfreiwillig komisch, selbst für einen ziemlich konstruierten Whodunit. Die Figuren wirken nicht wirklich gut entwickelt und viele ihrer Handlung ergeben wenig Sinn. Dass hier nun ein weniger namhaftes Ensemble als in den beiden Vorgängen versammelt wurde, sehe ich jetzt nicht als problematisch an, nur kämpfen manche der Akteure wie Jamie Dornan (in Belfast noch stark, hier bemüht, aber blass) mit ihren eher oberflächlichen Parts und dem flachen Drehbuch. Die vor allem als Komikerin bekannte Tina Fey (Saturday Night Live, 30 Rock) hätte sich vermutlich einen besseren Film für eine ihrer wenigen ernsten Rollen gewünscht. Michelle Yeoh, die im März 2023 für ihre famose Performance in Everything Everywhere All At Once den Oscar als beste Hauptdarstellerin erhielt, erleidet hier den „Fluch“ des Goldjungen, der schon einige Kolleg*innen ereilt hat und nach welchem auf eine preisgekrönte, gefeierte Leistung das Mitwirken in einem schlechten oder mäßigen Werk folgt.

Wenn man mal von den unsäglich plumpen Albernheiten mit den nicht symmetrischen Eiern absieht, macht Kenneth Branagh als Poirot hier einen halbwegs soliden Job. Doch insgesamt muss ich nach nun drei Christie-Adaptionen von ihm und Michael Green konstatieren, dass es die beiden einfach nicht wirklich draufhaben, einen gelungen Streifen dieses Genres abzuliefern. Da kann man nur hoffen, dass dies der letzte Film bleibt. Es erscheint mir auch wenig verständlich, warum man für so ein Werk 60 Millionen Dollar ausgeben muss (die Fahrt im Orienexpress kostete 55 Millionen, die Nilfahrt ca. 90 bis 100 Millionen). Viel besser würde sich doch hier eine kostengünstigere Adaption als Fernsehfilm von der BBC eignen. Aber ich befürchte, dass Branagh und Co schon wieder ein weiteres „Leinwand-Abenteuer“ mit ihrer Version von Poirot geplant haben.                           

Fazit: Stimmungsvoll inszenierter, aber inhaltlich ziemlich banaler Venedig-Krimi. 4 von 10 Punkten.


Ariadne Oliver, Joyce Reynolds und Hercule Poirot
Gefangen im Palazzo



Marius Joa, 29. September 2023. Bilder: Fox.


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