Der Brutalist

Ein ungarisch-jüdischer Architekt und sein amerikanischer Traum stehen im Mittelpunkt von Brady Corbets monumentalen Drama Der Brutalist, welches drei Golden Globes gewann und auch bei der diesjährigen Oscar-Verleihung sehr gute Chancen hat.

Der Brutalist (The Brutalist)
Historiendrama USA, Ungarn, UK 2024. FSK: Freigegeben ab 16 Jahren. 215 Minuten. Kinostart: 30. Januar 2025.
Mit: Adrien Brody, Felicity Jones, Guy Pearce, Joe Alwyn, Isaach de Bankolé, Raffey Cassidy, Stacy Martin, Alessandro Nivola u.v.a. Drehbuch: Brady Corbet und Mona Fastvold. Regie: Brady Corbet.



Vom jüdischen Architekten und dem amerikanischen Traum

László Tóth (Adrien Brody), ein jüdischer Architekt aus Ungarn, hat den Holocaust überlebt und ist in die USA ausgewandert. Zuerst wird er von seinem Cousin Attila (Alessandro Nivola) aufgenommen, der ein Möbelgeschäft in Philadelphia betreibt. Bei diesem und dessen katholischer Ehefrau Aubrey (Emma Laird) kommt László eine Zeit lang unter und erhält Arbeit. Nach einer falschen Anschuldigung landet László auf der Straße, wo er den afroamerikanischen Arbeiter und alleinerziehenden Vater Gordon (Isaach de Bankolé) trifft. Zusammen kommen die beiden Männer in einem christlichen Wohnheim unter und verdingen sich in der Kohle- und Stahlindustrie. Von Attila hat László erfahren, dass seine Frau Erzsébet (Felicity Jones) und seine Nichte Zsófia (Raffey Cassidy) noch am Leben sind, aber wegen gesundheitlicher Probleme in Europa festsitzen.

Schließlich wird der schwerreiche Geschäftsmann Harrison Van Buren (Guy Pearce) auf László und seine früheren, in Fachzeitschriften gefeierten Arbeiten in Ungarn, aufmerksam und engagiert den Architekten. Zu Ehren von Van Burens verstorbener Mutter soll László in der Nähe des Familien-Anwesens der Van Burens ein großes Gemeindezentrum mit Bibliothek, Sporthalle und Kapelle bauen. Während das ehrgeizige Bauvorhaben in Angriff genommen wird gelingt es mit der Hilfe von Van Burens jüdischem Anwalt (Peter Polycarpou), Erzsébet und Zsófia in die USA zu holen. Lászlós Ehefrau ist allerdings aufgrund der Unterernährung an Osteoporose erkrankt und auf einen Rollstuhl angewiesen, während seine Nichte seit den erlebten Gräuel im Konzentrationslager nicht mehr spricht. Die langwierigen und schwierigen Bauarbeiten sowie das zunehmend herablassende Verhalten von Van Buren und seinem Sohn Harry Lee (Joe Alwyn) treiben László immer tiefer in eine selbstzerstörerische Drogensucht…

László Tóth

Auch wenn der Film schon nach seiner Premiere bei den Filmfestspielen von Venedig im September 2024 mein Interesse geweckt hatte, so habe ich es mir aufgrund der heftigen Laufzeit von drei Stunden und 35 Minuten zweimal überlegt, ob ich Der Brutalist wirklich im Kino anschauen und nicht auf die Heimkino-Auswertung warten soll. Im Nachhinein bereue ich die Entscheidung zugunsten des Lichtspielhausbesuches nicht. Das 215-Minuten-Werk wird standardmäßig mit einer 15minütigen Pause nach ca. 100 Minuten aufgeführt, die auch gut als Zäsur in der Handlung funktioniert. Wirkliche Längen gibt es aus meiner Sicht nicht.

Der Mann hinter diesem besonderen Streifen hat bereits eine interessante Vita hinter sich. Im Alter von elf Jahren startete Brady Corbet (geboren 1988) seine Schauspielkarriere mit einer Gastrolle in der Sitcom King of Queens sowie Sprechrollen in den englischen Synchronisationen von Animeserien. Als Jugendlicher/junger Erwachsener agierte er in Filmen wie Dreizehn (2003) von Catherine Hardwicke, Thunderbirds (2004), der leider misslungenen Realfilm-Adaption der gleichnamigen kultigen britischen Puppentrick-Actionserie und dem US-Remake (2007) von Michael Hanekes Funny Games. Es folgen Rollen unter anderem in der Actionserie 24 und Melancholia (2011) von Lars von Trier.

2013 machte sich Corbet gemeinsam mit seiner Lebensgefährtin, der norwegischen Filmemacherin/Schauspielerin Mona Fastvold (geboren 1986), an sein Debüt als Regisseur. The Childhood of a Leader (2015) erzählt, basierend auf einer Kurzgeschichte von Jean-Paul Sartre, von der Kindheit eines späteren Diktators. 2018 erschien mit Vox Lux die zweite Regie-Arbeit des Amerikaners, über den Aufstieg einer Sängerin, die als Jugendliche einen Amoklauf überlebt hat. Der Brutalist, Corbets dritter Film als Regisseur, mit Fastvold als Co-Autorin entstanden, erzählt auf eindringlich-eindrucksvolle Weise die Geschichte eines traumatisierten und gebeutelten Immigranten.

Für den fiktionalen Protagonisten László Tóth standen historische Architektur-Persönlichkeiten wie Marcel Breuer, Ludwig Mies von der Rohe und Ernö Goldfinger (der Ian Fleming zum Gegenspieler Bonds im gleichnamigen Roman inspirierte) Pate. Tóth hat es geschafft, den Gräuel des Holocausts zu entkommen und will in den USA neu anfangen. Trotz seiner Reputation in Europa als Bauhaus-geschulter Architekt muss László für seinen Lebensunterhalt schwer schuften, als Angestellter im Möbelhaus seines Cousins und danach noch mehr als Stahlarbeiter. Bis ein reicher Geschäftsmann und Gönner mit Verspätung erkennt, wer der ungarische Einwanderer wirklich ist.

Harrison Van Buren

Die „Queste“ Lászlós dürfte stellvertretend für die Geschichte vieler Migrant*innen sein, die vor oder nach dem Zweiten Weltkrieg nach Amerika auswanderten und dort ganz unten anfangen mussten, trotz eventueller höherer Qualifikationen aus der alten Heimat. Der amerikanische Traum nicht zwangsläufig im Sinne des alten Mythos „from rags to riches“, sondern als Hoffnung auf ein neues und besseres Leben in Frieden und Sicherheit. Der Hauptcharakter scheint diesem Traum näher zu kommen, vor allem als er von Harrison Van Buren hofiert und engagier wird. Doch durch kleine Gesten und meist eher unauffälliges Verhalten des lokalen Tycoons wird dessen Geringschätzung für László gezeigt. Für Van Buren, der sich gern intelligent gibt und gleichzeitig als oberflächlich entlarvt, ist der Architekt nur ein Erfüllungsgehilfe für das eigene Vanity-Projekt in Form des geplanten Gemeindehauses. Im späteren Verlauf des Films wird Van Burens Ablehnung und die seines Sohnes gegenüber den ungarischen „Gästen“ deutlicher, bzw. der amerikanische Traum für László, seine Ehefrau und seine Nichte zunehmend zum Albtraum.

Richtig episch oder monumental erweist sich The Brutalist eigentlich nur in den Szenen, in welchen das im Entstehen begriffene Bauwerk zu sehen ist oder man beeindruckende Bilder vom Marmor-Steinbruch im italienischen Carrara sieht. Ansonsten bleibt die bewegende Geschichte von László Toth und (später) seiner Familie das Zentrum des Films. Und im Epilog offenbart sich ein absolut stimmiger Twist, welcher zentrale Elemente in einem anderen Licht stehen lässt.

Erstaunlich, dass die amerikanische-britisch-ungarische Ko-Produktion an nur 35 Tagen gedreht wurde, von Mitte März bis Anfang Mai 2023 in Ungarn und Italien. Zudem war das Budget von 9,6 Millionen US-Dollar gerade für ein historisch inspiriertes Werk von dieser Länge, dessen Handlung sich überwiegend von den späten 1940ern bis in die frühen 1960er erstreckt, nicht gerade hoch, wobei der Film deutlich teurer aussieht. Die Kehrseite dieser Medaille: der Regisseur sowie einige Mitglieder von Cast und Crew erhielten kein Gehalt.

Die Krönung eines allein schon starken Ensembles und das schlagende Herz von Der Brutalist: die absolut bewegende und herausragende Performance von Adrien Brody als László Tóth. Bereits in Roman Polanskis Der Pianist (2002) spielte der 51jährige Amerikaner einen Holocaust-Überlebenden und wurde dafür mit dem Oscar als bester Hauptdarsteller ausgezeichnet. Brody selbst hat jüdische Vorfahren. Seine Mutter wiederum, die Fotografin Sylvia Plachy, wanderte als junges Mädchen nach dem Volksaufstand von 1956 von Ungarn in die USA aus. Was der außerdem durch Filme wie Midnight in Paris (2011) und Grand Budapest Hotel (2014) bekannte Schauspieler hier leistet ist schlicht und ergreifend überwältigend, siehe etwa die Szene ziemlich zu Beginn als László erfährt, dass seine Frau und seine Nichte noch am Leben sind.  

Fazit: Auf seine eigene Weise monumentales, eindringliches Drama über einen jüdischen Architekten und sein Streben nach dem amerikanischen Traum, mit einem absolut großartigen Adrien Brody in der Hauptrolle. 9 von 10 Punkten.

Spatenstich
László und Erzsébet
Bauarbeiten
Marmor-Steinbruch



Marius Joa, 21. Februar 2025. Bilder: Universal.


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