Eine Million Minuten

Eine Idee ihrer Tochter, eine Million Minuten nur mit schönen Dingen zu verbringen, nimmt eine Berliner Familie zum Anlass, um zwei Jahre zu verreisen, in Christopher Dolls Film nach realen Begebenheiten.

Eine Million Minuten
Drama Deutschland 2024. FSK: ohne Altersbeschränkung. 125 Minuten. Kinostart: 1. Februar 2024.
Mit: Tom Schilling, Karoline Herfurth, Pola Friedrichs, Piet Levi Busch, Hassan Akkouch, Anneke Kim Sarnau, Rúrik Gislason, u.v.a. Nach dem Buch von Wolf Küper. Drehbuch: Monika Fässler, Tim Hebborn, Malte Welding, Ulla Ziemann, Christopher Doll. Regie: Christopher Doll.



Von Work-Life-Balance und weniger Stress-Minuten

Wolf Küper (Tim Schilling) arbeitet gemeinsam mit seiner Chefin Claudia Hergenrath (Anneke Kim Sarnau) und seinem befreundeten Kollegen Ben (Hassan Akkouch) bei den Vereinten Nationen für den Erhalt der weltweiten Artenvielfalt. Durch diese fordernde Tätigkeit ist der Familienvater immer wieder tagelang von zuhause weg. Seine Ehefrau, die Bauingenieurin Vera (Karoline Herfurth), kümmert sich um die beiden Kinder, die fünfjährige Nina (Pola Friedrichs) und den einjährigen Simon (Piet Levi Busch). Doch Ninas Entwicklungsstörung, die trotz Ärzte-Odyssee undiagnostiziert bleibt, zehrt an Veras Nerven. Als ihr Wolf erklärt, dass er wegen seiner Arbeit in den kommenden zwei Jahren noch weniger Zeit für die Familie haben wird, kommt es zum Streit.

Einen möglichen Ausweg aus der Situation liefert dann ausgerechnet Nina, die vorschlägt eine Millionen Minuten nur mit schönen Dingen zu verbringen. Nach reichlicher Überlegung beschließen Wolf und Vera diese Idee in die Tat umzusetzen. Die Familie verkauft fast ihre gesamten Besitztümer und beginnt eine knapp zweijährige (694 Tage) lange Reise, welche sie erst nach Thailand, dann nach Island führt. Nina blüht in der neuen Umgebung schnell auf und macht körperliche Fortschritte. Die Familie genießt die gemeinsame, überwiegend unbeschwerte Zeit, doch das Arbeiten aus der Ferne klappt nur bedingt…

Wolf und Tochter Nina

Mit Eine Million Minuten liefert Christopher Doll (geboren 1975), der bisher als Regie-Assistenz (u.a. Requiem [2006], Anonymus, 3096 Tage) und Produzent (u.a. Das Ende der Wahrheit, Wunderschön) seinen ersten Film als Regisseur ab. Das Drehbuch basiert auf einer wahren Begebenheit. Der reale Wolf Küper und seine Frau kündigten ihre Jobs, verkauften ihren Hausstand und gingen mit ihren Kindern auf eine Reise durch Asien, Australien und Neuseeland. Danach schrieb Küper das Buch Eine Million Minuten: Wie ich meiner Tochter einen Wunsch erfüllte und wir das Glück fanden (2016), welches sich gut verkaufte und unter anderem auch auf Englisch, Französisch, Italienisch und Niederländisch erschien.

Für die Verfilmung wurde der Reiseverlauf und der berufliche Hintergrund der Familie etwas abgeändert. So folgt auf Thailand das Reiseziel Island und da die Handlung in der aktuellen Post-Covid-Zeit spielt, in welcher digitales Nomadentum häufiger geworden ist, versuchen Wolf und Vera remote weiterhin ihrer jeweiligen Arbeit nachzugehen. Doch so positiv sich der Tapetenwechsel besonders auf Nina auswirkt, doch Wolf wird immer wieder von seinen Job-Verpflichtungen abgehalten, die besonderen Momente seiner Kinder zu erleben. Das vermeintliche Paradies löst also nicht alle Probleme und so beschließt der Familienvater seinen Job zu kündigen, um seinen Lieben voll zur Verfügung zu stehen.

Man kann dem Film und auch der Vorlage ein Stück weit vorwerfen, dass die hier präsentierte Familie ihr Abenteuer nur umsetzen konnte, weil sie sich in einer privilegierten Position befindet. Dem stimmt auch Autor Wolf Küper zu. Und manche Aspekte der Geschichte gehen vermutlich auch etwas zu einfach. Doch frei von Konflikten und negativen Gemütszuständen ist Eine Million Minuten aber nicht. Denn heile Welt in der Urlaubsidylle herrscht nicht.

Dolls Verfilmung liefert gleichermaßen wie Küpers Buchvorlage einen Denkanstoß zum Thema Zeit. Was nutzt großer beruflicher Erfolg, wenn man die entscheidenden Momente im Leben der eigenen Kinder verpasst? Ist Zeit nicht viel mehr Wert als Geld und somit eine ebenso wichtige Währung? Der überwiegend im Mittelpunkt stehende Familienvater kämpft erst mit seinem stressigen Job, dem er per Laptop oft eher schlecht als recht erledigen kann, hadert später dann mit seiner Rolle als Hausmann während seine nun wieder Vollzeit arbeitende Ehefrau aufblüht. Klassische Rollenbilder werden umgedreht und hinterfragt. Zudem wirbt der Film für ein konstruktives Miteinander und einen positiven Umgang mit gesundheitlichen Einschränkungen.  

Schauspielerisch stehen Tom Schilling (Oh Boy, Werk ohne Autor) als Wolf und Karoline Herfurth (Das Parfum, Wunderschön) als Vera im Zentrum, beide absolvieren ihre Hauptrollen mit unglamouröser Authentizität. Kinderdarstellerin Pola Friedrichs (Lipsias fantastische Fabelwesen, Kommt ein Vogel geflogen) überzeugt als deren Tochter Nina mit ihrer unbekümmerten Art und kann in manchen Momenten noch dazu besonders glänzen. Der frühe Fußballspieler Rurik Gislason ist als sympathischer isländischer Nachbar Einar zu sehen.  

Fazit: Bewegender Film über die schwierige Suche einer Familie nach dem Glück in der Ferne. 8 von 10 Punkten.


Die Küpers in Thailand
Vera und der nette Nachbar Einar



Marius Joa, 13. Februar 2024. Bilder: Warner.


Beitrag veröffentlicht

in

von

Kommentare

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

WordPress Cookie Hinweis von Real Cookie Banner