Pearl (2022)

Direkt im Anschluss an seinen Retro-Slasher X drehte Regisseur Ti West mit Hauptdarstellerin Mia Goth gleich noch das Prequel Pearl, in welchem die Hintergrundgeschichte der titelgebenden Frau erzählt wird. Nach der deutschen Erstaufführung bei den Fantasy Filmfest Nights im April 2023 läuft der Streifen nun regulär in den deutschen Kinos an.

Pearl
Horror-Drama USA 2022. FSK: keine Jugendfreigabe. 103 Minuten. Kinostart: 1. Juni 2023.
Mit: Mia Goth, Tandi Wright, David Corenswet, Matthew Sunderland, Emma Jenkins-Purro u.a. Drehbuch: Mia Goth und Ti West. Regie: Ti West.



The Farmer’s Daughter
oder Ich bin ein Star! Holt mich hier raus!


Texas, 1918. Während die spanische Grippe wütet und ihr Ehemann Howard (Alistair Sewell) als Soldat im Ersten Weltkrieg kämpft lebt die junge Pearl (Mia Goth) mit ihren Eltern auf der Farm der Familie. Die Arbeit ist hart und wird dadurch erschwert, dass Pearls Vater (Matthew Sutherland) seit seiner schweren Grippe-Infektion ein Pflegefall ist. Pearls Mutter Ruth (Tandi Wright), eine strenggläubige Immigrantin aus Deutschland, duldet weder Ungehorsam noch jedwede Ablenkung. Doch Pearl träumt von einer Karriere als Tänzerin in Leinwand-Revuen und besucht heimlich die Filmvorführungen in der Stadt, wo sie auf einen Vorführer (David Corenswet) trifft, der sie ermutigt, ihren Traum zu leben. Von Schwägerin Mitsy (Emma Jenkins-Purro) erfährt Pearl, dass in der örtlichen Kirche bald ein Vortanzen für einen Platz in einer Revue-Truppe stattfinden soll. Doch als ihr immer wieder Steine in den Weg gelegt werden bricht der dunkle Teil von Pearls Persönlichkeit hervor…

Mit X legte Regisseur Ti West im letzten Jahr einen Retro-Slasher vor, in welchem eine Pornofilm-Crew in den 1970ern beim Dreh auf einer abgelegenen Farm von einem geheimnisvollen Killer dezimiert wird. Die in Neuseeland im Februar/März 2021 während der Covid19-Pandemie gedrehte Produktion kostete nur eine Million Dollar. West und Hauptdarstellerin Mia Goth, die eine kuriose Doppelrolle absolvierte, entwickelten eine Hintergrundgeschichte für die Figur Pearl und entschlossen sich daraus ein Prequel zu machen. Da West, Goth und Co bereits die notwendige Quarantäne absolviert hatten, erfolgten die Dreharbeiten zu Pearl direkt im Anschluss an jene von X, wobei überwiegend die gleichen Kulissen verwendet wurden und Crew-Mitglieder von Avatar: The Way of Water, die sich gerade in einer Produktionspause des Mega-Blockbusters befanden, zum Einsatz kamen.

Pearl träumt davon, ein Star zu werden

Die Handlung des Prequels spielt sechzig Jahre vor den Ereignissen in X. Im Zentrum steht die junge Pearl, die mit ihrem Traum von der Karriere als Tänzerin ihrem harten Leben auf einer Farm in Texas zu entkommen versucht. Doch die unschuldig wirkende Frau hat auch eine dunkle Seite. Sie tötet grundlos Tiere und misshandelt ihren wehrlosen Vater. Abgesehen vom gleichen Hauptschauplatz, der Farm in Texas, unterscheiden sich Setting und Atmosphäre der beiden Filme durchaus voneinander. Befand man sich im Vorgänger im Spannungsfeld des Pornofilm-Booms der späten 1970er und des erzkonservativen Christentums – zwei Extreme, welche gekonnt die Widersprüchlichkeit der USA hinsichtlich Freiheit, Freizügigkeit und Religiosität illustrieren – so spielt sich Pearl in einer Zeit des großen Umbruchs ab. Der Erste Weltkrieg und die spanische Grippe (welche vor gut 100 Jahren ähnliche Folgen wie die Corona-Pandemie nach sich zog) haben die Weltbevölkerung dezimiert oder in Mitleidenschaft gezogen während das Kino als völlig neues Unterhaltungsmedium wächst und für eine Aufbruchsstimmung sorgt.

Für die titelgebende Protagonistin und ihre Familie ist das Leben hart. Zum einen, weil Pearls Vater als Arbeitskraft ausfällt. Außerdem lehnt die strenge, unerbittliche Mutter die Hilfe von Pearls wohlhabender Schwiegermutter ab. Man kann es der jungen Frau nicht verübeln, dass sie am liebsten diesem undankbaren, recht perspektivlosen Alltag entfliehen möchte. Der Traum von einer kometenhaften Karriere als tanzender Leinwandstar könnte ein Ausweg für Pearl sein, die auch in der Ehe mit Howard, der in Krieg gegen Deutschland kämpft, alles andere als glücklich wirkt.

Diese Mischung aus Sozialdrama und blutiger Coming-of-Age-Story gestalten West und sein Team inszenatorisch äußerst stilsicher mit satten Technicolor-Farben und deutlichen Reminiszenzen an Der Zauberer von Oz (1939) von Victor Fleming. Bekannte Elemente aus dem Vorgänger, wie etwa der Alligator im See, fanden erneut Verwendung. Wie es gelang mit dem gleichen geringen finanziellen Aufwand (1 Million US-Dollar) so einen verspielten und gar nicht billig wirkenden Film zu schaffen ist schon erstaunlich.

Aus meiner Sicht übertrifft das Prequel seinen Vorläufer. Bei aller Überzeichnung und Gewaltspitzen gestaltet sich die Story ehrlich, stimmig und voller Mitgefühl für die gewalttätige Protagonistin, deren Verzweiflung über eine restriktive Welt im Gegensatz zu ihren schrecklichen Taten nachvollziehbar scheint. Mia Goth, deren jugendliches Aura ihr zu einer spannenden Karriere verholfen hat, spielt die innerlich zerrissene Pearl mit großem Einsatz. Vor allen während eines langen Monologs und der schmerzhaften Schlusseinstellung wird dies deutlich.

Nach X (2022) und Pearl (2022) wird die Reihe mit einem dritten Film fortgesetzt. Die Dreharbeiten zu MaXXXine, über die fortschreitende Karriere von Maxine (Mia Goth) im Porno-Business der frühen 1980er, haben im April 2023 begonnen.               

Pearl startet am 1. Juni 2023 in den deutschen Kinos.

Fazit: Stilsicher inszeniertes und stark gespieltes Prequel zum Retro-Slasher X, welches den Vorgänger übertrifft. 8 von 10 Punkten.

Pearl und ihre Schwägerin Mitsy



Marius Joa, 28. Mai 2023. Bilder: Universal.


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