Mit ihrem Spielfilm-Debüt als Regisseurin gewann Saulė Bliuvaitė den Goldenen Leoparden beim Filmfestival von Locarno. Toxic handelt von zwei 13jährigen Mädchen, die durch ein Model-Casting ihrer tristen Heimatstadt zu entkommen versuchen. Das Drama aus Litauen war Teil des Programms beim 51. Internationalen Filmwochenende in Würzburg.
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Toxic (Akiplėša)
Jugend-Drama Litauen 2024. 99 Minuten. Kinostart: 24. April 2025.
Mit: Vesta Matulytė, Ieva Rupeikaitė, Giedrius Savickas, Vilma Raubaitė, Eglė Gabrėnaitė u.v.a. Drehbuch und Regie: Saulė Bliuvaitė.

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Postindustrielle Tristesse
Ihre Mutter schickt die 13jährige Marija (Vesta Matulytė) weg, um mit der Großmutter in einer trostlosen Industriestadt zu leben. Wegen ihrer leichten Gehbehinderung wird das Mädchen von Mitschüler*innen gemobbt. Besonders die gleichaltrige Kristina (Ieva Rupeikaitė) hat es auf die Neue abgesehen. Doch nach einer Schlägerei raufen sich die beiden Teenager zusammen und werden Freundinnen. Um der postindustriellen Tristesse zu entkommen, hoffen die Mädchen auf eine Modelkarriere und bewerben sich bei einer dubiosen Agentur. Trotz ihrer Einschränkung gelingen der großgewachsenen Marija erste kleine Erfolge beim Casting. Kristina versucht indes, durch einen übers Darknet gekauften Bandwurm dünner zu werden…
Saulė Bliuvaitė wurde 1994 in Kaunas, der zweitgrößten Stadt Litauens, geboren. Von 2014 bis 2018 studierte sie Filmregie an der litauischen Musik- und Theaterakademie (LMTA) und drehte währenddessen vier Kurzfilme. Nach ihrem Abschluss war sie Co-Autorin bei Izaokas (2019), dem ersten Film über das Judenpogrom in Litauen, und übernahm dabei auch den Schnitt. Mit Akiplėša, international unter dem Titel Toxic veröffentlicht, hat Bliuvaitė ihr erstes abendfüllendes Werk inszeniert. Die Geschichte um zwei Mädchen, die sich um eine Modelkarriere bemühen, basiert auf den eigenen Erfahrungen der Regisseurin als Teenager.

Man kann es den Protagonistinnen nicht verübeln, dass sie aus ihrer Heimatstadt weg wollen. Denn diese „erstrahlt“ wirklich in trostloser, postindustrieller Tristesse. Die meisten Einwohner*innen hausen in Baracken-ähnlichen Häuschen, überall sieht man verlassene Industrie-Gebäude und heruntergekommene Anlagen. Gedreht wurde Mitte 2023 in Litauens Hauptstadt Vilnius und Bliuvaites Heimstadt Kaunas. Um diesen Miserabilismus noch zu verstärken, gestalten sich einige Szenen sehr dunkel und zudem absichtlich unscharf. Diese irgendwie dokumentarische Ästhetik erweckt ein wenig den Anschein, als wäre Akiplėša eine teils heimlich gefilmte Dokumentation über Jugendliche im Brennpunkt.
Das Adjektiv „toxisch“ trifft hier in mehrfacher Hinsicht zu. Die Perspektivlosigkeit der Jugendlichen sorgt dafür, dass sie sich giftigen Substanzen wie Alkohol und anderen Drogen zuwenden oder (zu) frühe sexuelle Erfahrungen machen. Von ihren Eltern/Erziehungsberechtigen wie Kristinas Vater und Marijas Oma werden die Mädchen zwar nicht schlecht behandelt, aber vernachlässigt. Und auf der „Toxic“-Skala ganz oben rangiert natürlich die Model-Agentur und ihre „Begleiterscheinungen“.
Training, Casting und Fotoshoots kosten natüröich viel Geld, welches die angehenden Mannequins sich auch irgendwie organisieren müssen, wobei im Verlauf des Films immer klarer wird, dass sie von der Agentur mit falschen Versprechungen hingehalten und abgezockt werden. Zusätzlich zum ständigen Druck, dünner zu sein bzw. dünn zu bleiben. Ein Ziel für das die jungen Mädchen bereit sind, fast alles zu tun.
Der harten Konkurrenz und einer angespannte Situation entgegnen Marija und Kristina mit unerschütterlichem, freundschaftlichem Zusammenhalt. Ein menschlicher Hoffnungsschimmer in einer trostlosen Welt. Mit Vesta Matulytė als Marija und Ieva Rupeikaitė als Kristina hat die Regisseurin nach einem langwierigen Casting-Prozess zwei überaus authentische Jungschauspielerinnen für die beiden Hauptrollen gefunden.
Toxic von Saulė Bliuvaitė startet am 24. April 2025 in den deutschen Kinos.
Fazit: Nüchtern-authentisches, gleichzeitig eindringliches Drama über zwei Mädchen und ihren erhofften Ausweg aus einer trist-perspektivlosen Heimat. 8 von 10 Punkten.
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Marius Joa, 7. Februar 2025. Bilder: Grandfilm.
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