Sultanas Traum

Am letzten Wochenende besuchte ich zum ersten Mal den Comic-Salon Erlangen. Im Rahmen der Veranstaltung wurden unter dem Motto „Comic Film Festival“ diverse Animationsfilme gezeigt, darunter auch Sultanas Traum von Isabel Herguera, über die Reise einer jungen Zeichnerin auf der Spur einer bengalischen Feministin.  

Sultanas Traum (El sueño de la sultana)
Animationsfilm/Drama Spanien, Deutschland 2024. FSK: Freigegeben ab 16 Jahren. 87 Minuten. Kinostart: 7. März 2024.
Originalsprecher*innen: Miren Arieta (Inés), Arunima Bhattacharya (Sudhanya), Manu Khurana (Ámár), Miren Gabilondo (Inés‘ Mutter), Paul B. Preciado (Paul) u.a. Nach Sultana’s Dream von Rokeya Sakhawat Hussain. Drehbuch: Isabel Herguera und Gianmarco Serra. Regie: Isabel Herguera.



Auf Rokeyas Spuren

Inés (Originalstimme: Miren Arieta) ist eine junge baskische Künstlerin, die in Indien lebt. In einer Buchhandlung in Ahmedabad entdeckt sie zufällig Sultanas Traum, eine Novelle der bengalischen Frauenrechtlerin und Autorin Rokeya Sakhawat Hussain. Das 1905 auf Englisch veröffentliche Werk erzählt von einer futuristischen Welt, in welcher nach einem verheerenden Krieg die Frauen die Macht übernommen und sich die Männer in die Häuser zurückgezogen haben. Fasziniert von dieser Geschichte beginnt Inés eine Reise, in welcher sie wichtige Stationen im Leben Rokeyas nachzeichnet. Dabei trifft die Künstlerin auf die erfahrene Lehrerin Sudhanya (Arunima Bhattacharya). Inés scheint besonders daran interessiert, das Geheimnis einer alten Postkarte, welche sie im Buch gefunden hat, zu entschlüsseln.

Isabel Herguera (geboren 1961) ist eine Künstlerin und Filmemacherin aus dem spanischen Baskenland. Nach ihrem Studium in Bilbao, Düsseldorf und in Santa Clarita entstanden erste animierte Kurzfilme. 1994 gründete Herguera ein Animationsfilmstudio in Los Angeles und agierte zwischen 2003 und 2011 als Direktorin von Animac, dem Internationalen Anmationsfilmfestival im katalonischen Lleida. Seit 2007 lehrt die 63jährige als Professorin an der Kunsthochschule für Medien Köln. Bei einer Reise durch Indien stieß Herguera zufällig auf das Buch von Rokeya Sakhawat Hussain, auch bekannt als Begum Rokeya Hussain, und entwickelte daraus über Jahre den gleichnamigen Film. El sueño de la sultana entstand als spanisch-deutsche Co-Produktion, unterstützt unter anderem durch das Spanische Filminstitut und den französisch-deutschen Kultursender Arte. Nach der Premiere auf dem Filmfestival von San Sebastian im September 2023, wo der Film dreimal ausgezeichnet wurde (z.B. als bester baskischer Film), folgten weitere Nominierungen und Preise bei Festivals in Brüssel, Hamburg, Leeds und Sao Paolo. Der deutsche Kinostart war am 7. März 2024.

Inés stößt zufällig auf ein besonderes Buch

Ein fiktionales Land, in welchem Frauen das Sagen und Männer nichts zu melden haben, das gab es letztes Jahr im Kino in Greta Gerwigs Barbie (2023). Doch Rokeya Sakhawat Hussain (1880-1932) hatte mit ihrem Ladyland diese feministische, utopische Vision schon über hundert Jahre zuvor. Obwohl sie in einer streng muslimischen Familie im heutigen Bangladesch aufwuchs und selbst grundlegende Bildung damals für muslimische Frauen nicht vorgesehen war, konnte lernte die junge Rokeya Lesen und schreiben. Ihr zwanzig Jahre älterer Ehemann, den sie mit 18 heiratete, ermutigte seine Gattin, sich weiterzubilden. Nach seinem frühen Tod gründete Rokeya ein Mädchen-Gymnasium und den Islamischen Frauenverband. Außerdem schrieb sie unzählige Artikel zur Geschlechtergleichstellung und Emanzipation der Frau. Rokeya Sakhawat Hussain gilt bis heute als bedeutende islamische Feministin.

Die Novelle Sultana’s Dream erzählt nicht nur von einer utopischen Frauenherrschaft, sondern beinhaltet auch Science-Fiction-Elemente. Dank des technologischen Fortschritts konnte Ladyland einen großen Krieg für sich entscheiden und die notwendige Arbeit auf zwei Stunden pro Tag reduziert werden. Auf Basis dieses kuriosen, in der westlichen Welt leider ziemlich unbekannten Werkes haben Isabel Herguera (Szenenbild, Drehbuch, Produktion, Regie) und ihr Team um Gianmarco Serra (Co-Autor sowie verantwortlich für Musik, Sounddesign und Schnitt) einen besonderen Animationsfilm als assoziative Entdeckungsreise der Protagonistin (als Alter Ego der Regisseurin) zwischen Selbstfindung, Frauenrechten und Science-Fiction-Utopie erschaffen. Dass sich seit den Lebzeiten Rokeyas bezüglich der weiblichen Lebenswirklichkeiten viel getan hat, aber noch viel zu tun ist wird besonders in einer Szene verdeutlich, als Inés‘ Reisegefährtin Sudhanya aus einem Albtraum erwacht und fragt, ob Frauen in Europa sicher sind, worauf Inés antwortet, dass sie das nirgendwo wirklich der Fall sei.

In meinem Streben danach im besonderen Maße eigenwillige Animationsfilme zu sichten habe ich vor allem in den letzten Jahren wirklich ein paar nicht nur optisch einmalige Werke erleben dürfen. Dennoch war ich von der Schönheit der Animationen von Sultanas Traum völlig verzaubert. Die Haupthandlung um Inés ist im Aquarell-Stil mit teils transparenten Charakteren und Hintergründen gehalten. Beim biographischen Exkurs über Rokeya kam die Schattenschnitttechnik zum Einsatz, welche aus dem traditionellen Schattentheater entstand. Und die Ausflüge in die titelgebende Geschichte nach Ladyland bestechen durch ihren auf Henna-Zeichnungen basierenden, sehr ausgeschmückten Stil.                     

Fazit: Großartiger Animationsfilm mit wunderschöner Ästhetik über die recht unbekannte feministische Utopie einer muslimischen Feministin und eine Künstlerin auf ihren Spuren. 9 von 10 Punkten.



Beeindruckende Bilder
Demonstration für Frauenrechte
Das Parlament von Ladyland



Marius Joa, 9. Juni 2024. Bilder: Luftkind.

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