Barbie

Die Blockbuster des diesjährigen Kinosommers laufen bisher eher suboptimal. Mit dem Biopic Oppenheimer von Christopher Nolan und der Puppenfantasy Barbie von Greta Gerwig sind ausgerechnet zwei Großproduktionen am gleichen Tag gestartet, welche die Kassen klingeln lassen. Die titelgebende Puppe und ihr männliches Accessoire erleben in letzterem Film eine folgenschwere Identitätskrise.

Barbie
Fantasy-Komödie USA 2023. FSK: Freigegeben ab 6 Jahren. 114 Minuten. Kinostart: 20. Juli 2023.
Mit: Margot Robbie, Ryan Gosling, America Ferrara, Arianna Greenblatt, Michael Cera, Kate McKinnon, Will Ferrell, Rhea Perlman, Connor Swindells, Issa Rae, Alexandra Shipp, Emma Mackey, Nicola Coughlan, Simu Liu, Kingsley Ben-Adir, Ncuti Gatwa, Scott Evans u.v.a. Erzählerin: Helen Mirren. Drehbuch: Greta Gerwig und Noah Baumbach. Regie: Greta Gerwig.



Von Zellulite und Existenzkrisen

Für Barbie (Margot Robbie) und ihre unterschiedlichen Freundinnen (u.a. Issa Rae, Alexandra Shipp, Emma Mackey und Nicola Coughlan) gleichen Namens ist jeder Tag in Barbieland perfekt und eine einzige Party in pink. Für Ken (Ryan Gosling) und seine Namensvetter (u.a. Simu Liu, Kingsley Ben-Adir und Ncuti Gatwa) dagegen ist der Tag nur gelungen, wenn sie von den Barbies auch wirklich wahrgenommen werden. Eines Morgens erwacht Barbie und stellt entsetzt fest, dass sie nicht nur negative Gedanken und Zellulite hat, sondern auch auf flach auf ihren Füßen steht! Die Außenseiterin Weird Barbie (Kate McKinnon) erklärt, dass sich ein Riss zwischen den Welten aufgetan hat. Um diesen zu schließen und alles wieder in Ordnung zu bringen, muss Barbie in die reale Welt reisen und das Mädchen finden, welches mit ihr spielt.

Doch Barbie stellt nicht nur fest, dass sich Ken als blinder Passagier an Bord ihres Cabriolets geschlichen hat. In der realen Welt erlebt sie einen regelrechten Kulturschock, denn diese wird überwiegend von Männern dominiert. Ken hingegen entdeckt ein für ihn völlig neues Konzept: das Patriarchat. Aaron (Connor Swindells), ein Mitarbeiter von Mattel, jener Firma die Barbie-Puppen verkauft, erfährt, dass Barbie und Ken in der realen Welt gelandet sind und alarmiert die Führungsebene um den CEO (Will Ferrell). Barbie trifft auf Gloria (America Ferrara), eine weitere Mitarbeiterin des Konzerns, und deren Teenager-Tochter Sasha (Ariana Greenblatt). Etwas widerwillig erklären sich Mutter und Tochter bereit, Barbie zu helfen. Zurück in Barbieland müssen die Drei entsetzt feststellen, dass Ken die heile pinke Welt in ein Männerparadies verwandelt hat, in welchem die anderen Barbies nichts mehr zu melden haben…  

Am Anfang war Barbie

Erfunden von Ruth Handler (1916-2002) trat Modepuppe Barbie ab 1959 ihren Siegeszug durch die Kinderzimmer vieler Mädchen (sowie auch mancher Jungen) auf der ganzen Welt an und avancierte zum Dauerseller. Doch die nach Handlers Tochter Barbara benannte Puppe durfte schon bald mehr sein als nur Fashion-Ikone, nämlich auch Ärztin, Wissenschaftlerin, Mutter, Präsidentin usw. Im späteren Verlauf wurden auch Varianten Barbies mit unterschiedlichen Ethnien produziert. Fester Begleiter Barbies war von Anfang an Ken, der eigentlich nur ein Accessoire bildet, genau wie Barbies Outfits, ihr Pferd oder das schicke Auto. Schon erstaunlich, dass es etwa 60 Jahre gedauert hat, bis die Kultpuppe die große Leinwand erobern würde, nachdem schon unzählige Animationsfilme für Fernsehen und Heimkino produziert worden waren. Ende der 2000er Jahre begannen die Verhandlungen für einen Barbie-Film. Über die Jahre kursierten Namen wie Drehbuchautorin Diablo Cody und Schauspielerin/Komikerin Amy Schumer bis Greta Gerwig (Frances Ha, Lady Bird, Little Women) für die Regie engagiert wurde und gemeinsam mit ihrem Partner Noah Baumbach auch das Drehbuch schrieb.

Bei der spannenden Personalie war schon mal abzusehen, dass als Ergebnis kein totaler infantiler Kitsch herauskommt. Aber wie bissig kann ein Blockbuster sein, welcher von Spielzeugkonzern Mattel mitproduziert/-finanziert wird? Denn neben dem Erfolg an der Kinokasse soll der Film natürlich auch für kräftig Umsatz bei den Puppen sorgen. Doch hier kann Entwarnung gegeben werden. Barbie von Gerwig ist kein austauschbares Merchandising-Vehikel, obgleich es zur wirklich beißenden Satire nicht ganz reicht.

Gekonnt stellen Gerwig und Baumbach in ihrem Skript die Extreme von Barbieland und der unseren (realen) Welt gegenüber. In erstem sind Ken und seine Namensvetter/Geschlechtsgenossen nur schmuckes Beiwerk, in letzterer haben sich die Frauen zwar sehr nach oben gekämpft, die obersten Konzernetagen und anderen Führungsebenen dominieren aber weiterhin Männer. Sowohl für Barbie als auch Ken (die beide übrigens keine Genitalien besitzen!) ist die Ankunft in unserer Realität ein Kulturschock. Während sie von den frauenfeindlichen Sprüchen schockiert wird, erkennt er zu seiner Überraschung, dass ihm die Leute nur allein deswegen Respekt zollen, weil er ein Mann ist. Das veranlasst den blondierten Beach-Bubi dazu, in seiner Heimat das Patriarchat zu installieren und die bisher als Präsidentin, Richterin, Ärztin, Schriftstellerin usw. tätigen Barbies zu Bier holenden Eye Candies zu degradieren. Barbie und ihre Freundinnen aus der realen Welt müssen Schlimmeres verhindern. Die Führungsriege von Mattel ist ihnen allerdings auf den Fersen.  


Weird Barbie weiß Rat

Die Altersfreigabe FSK 6 darf nicht darüber hinwegtäuschen, dass der pinke Blockbuster für Kinder kaum geeignet ist. Nicht weil die Story jetzt sehr schlüpfrig wäre. Sondern vielmehr, weil Gerwig hier die Konzepte hinter der titelgebenden Puppe thematisiert bzw. hinterfragt sowie den jeweiligen Status von Frau und Mann zur Diskussion stellt. Mit dieser Themenwahl richtet sich der Film definitiv an Erwachsene. Man/frau darf hier freilich nicht erwarten, dass Barbie sämtliche Probleme der Welt was die Ungleichheit zwischen Frauen und Männern bzw. Personen dazwischen und außerhalb angeht, einfach lösen könnte. Aber immerhin werden einseitige Verhältnisse entlarvt und eine Lanze für mehr Ausgewogenheit gebrochen. Vor allem der lange Monolog einer der weiblichen Figuren über die irrsinnigen Ansprüche an Frauen zählt zu den Highlights.

Zudem wird hier inszenatorisch etwas geboten. Das überwiegend in Pink erstrahlende Barbieland (und der cartooneske Weg dorthin) wurde mit echten Kulissen und ohne CGI von den Set-Designern Sarah Greenwood und Katie Spencer mit ihrem Team erschaffen. Die in der Originalfassung von Oscar-Gewinnerin Helen Mirren (Die Queen) erzählte Eingangssequenz liefert eine herrliche Hommage an die Eröffnung von Stanley Kubricks Raumfahrt-Meisterwerk 2001 – Odyssee im Weltraum (1968). Stilistisch orientieren sich die bunten Szenerien und Musical-Nummern an Technicolor-Klassiker wie Die roten Schuhe (1948, Michael Powell und Emeric Pressburger), Singing in the Rain (1952, Stanley Donen und Gene Kelly) und Die Regenschirme von Cherbourg (1964, Jacques Demy). Langjährige Fans der Puppen werden sich vor lauter Anspielungen sowie Auftritt von unterschiedlichen Inkarnationen von Barbie, Ken und Co kaum retten können.

Auch beim Cast wurde vieles richtig gemacht. Margot Robbie (Once Upon A Time in Hollywood) verkörpert die stereotype Titelheldin als fish-out-of-water-Charakter, die sich mit den grauen Seiten der Realität auseinandersetzen muss. Fast schon unverschämt gut und mit dezenter Überzeichnung agiert Ryan Gosling (Blade Runner 2049) als Barbies Beiwerk aka Ken. Weitere wichtige Rollen bekleiden America Ferrara (Ugly Betty) als desillusionierte Mattel-Mitarbeiterin und Rhea Perlman (Cheers) als Geist von Barbies Schöpferin. Zu meiner großen Freude gehören auch Emma Mackey, Ncuti Gatwa und Connor Swindells, drei Hauptdarsteller aus der herausragenden britischen Serie Sex Education, zum Cast. Bisweilen den Szenendieb darf Michael Cera (Scott Pilgrim gegen den Rest der Welt) als trotteliger Allan spielen.

Am Ende bleibt Barbie aber doch eher harmlos. Die humoristische Aufarbeitung ist vorhanden, aber ich hätte mir eine bissigere Satire gewünscht. Die großen Probleme werden zu schnell gelöst. Leider wird auch ein Großteil der illustren Besetzung in zu kleinen Rollen verschenkt. Und der eigentlich obligatorische 1990er Hit Barbie Girl der dänischen Popgruppe Auqa wird bedauerlicherweise für den Abspann fast bis zur Unkenntlichkeit „versampelt“.         

Fazit: Quietschbunte, unterhaltsame und durchaus kritische Fantasy-Komödie über die bekannteste Puppe der Welt mit tollem Cast, aber auch Luft nach oben. 7 von 10 Punkten.  



Grace traut ihren Augen kaum
Noch herrscht Party in Barbieland



Marius Joa, 31. Juli 2023. Bilder: Warner/Mattel.


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Kommentare

2 Antworten zu „Barbie“

  1. Avatar von Gina

    Tolle Kritik!
    Ich habe so das Gefühl, die Welt ist für eine bissigere Satire zu dem Thema noch nicht reif. Aber es ist ein Anfang.

    Die Designs von der Barbiewelt in die Realwelt haben mir auch total gut gefallen. Freue mich, dass das alles kein CGI ist, da gefällt es mir noch mehr.

    Die Version des Barbie Songs finde ich auch fürchterlich. Dann höre ich lieber das Original.

  2. Avatar von Marius Joa
    Marius Joa

    Vielen Dank!

    Ich denke die Welt ist für so eine bissige Satire schon reif, aber Mattel nicht! 😉
    Folglich würde es nur funktionieren wenn die Protagonistin einen anderen Namen hätte usw.

    Das ist so ein Unding seit den 2010er Jahren, dass man Popsongs bis aufs Übelste entstellen muss. I

    ch habe gelesen, dass Mattel damals Aqua verklagt hat.

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