Nadja (1994)

Eine Vampirin macht New York unsicher. Doch Dr. Van Helsing nimmt langsam ihre Spur auf, im kuriosen 1990er Arthouse-Horrorfilm Nadja von Regisseur Michael Almereyda (Hamlet [2000], Tesla), produziert von Altmeister David Lynch.   

Nadja
Arthouse-Horror USA 1994. FSK: Freigegeben ab 16 Jahren. 89 Minuten (PAL-DVD).
Mit: Elina Löwensohn, Peter Fonda, Suzy Amis, Galaxy Craze, Martin Donovan, Karl Geary, Jared Harris u.a. Drehbuch und Regie: Michael Almereyda.



Nosferatu in New York

Schon seit längerer Zeit hat die aus Transsylvanien stammende Vampirin Nadja (Elina Löwensohn), Tochter des Vampirfürsten Dracula, ihren Lebensmittelpunkt und ihr Jagdrevier nach New York verlagert. In einer Bar trifft Nadja auf die junge Lucy (Galaxy Craze). Nach einer Nacht mit der Vampirin ist Lucy wie ausgewechselt und ihr glückloser Ehemann Jim (Martin Donovan) deswegen ratlos. Doch Jims Onkel, Vampirjäger Dr. Van Helsing (Peter Fonda), der kürzlich Nadjas Vater gepfählt hat, weiß Rat und nimmt die Fährte der Blutsaugerin auf. Gemeinsam mit ihrem Diener Renfield (Karl Geary) sucht Nadja unterdessen ihren Zwillingsbruder Edgar (Jared Harris) auf. Dieser lebt mit Krankenschwester Cassandra (Suzy Amis) in Brooklyn und möchte eigentlich nichts von seiner Schwester wissen…

Am 16. Januar 2025 verstarb David Lynch wenige Tage vor seinem 79. Geburtstag. Der für seinen surrealen, albtraumhaften Stil bekannte Regisseur und Drehbuchautor war zudem als Musiker, Künstler, Schauspieler und Produzent tätig. Zu den vermutlich eher vergessen Werken, an denen Lynch beteiligt war, gehört Nadja. Ganz zufällig stieß ich vor wenigen Monaten in einem Secondhand-Laden auf die DVD des 1994 veröffentlichten Vampirfilms. „Regie-Legende David Lynch lässt als Nebendarsteller und ausführender Produzent zur Ader!“ wird stolz im Pressetext verkündet. Für die klitzekleine Rolle als Mitarbeiter im Leichenschauhaus ist die Bezeichnung „Nebendarsteller“ vermutlich ein wenig zu hoch gegriffen, aber weil die ursprünglichen Geldgeber kurzfristig absprangen finanzierte David Lynch die Produktion selbst. Lynchs langjährige Weggefährtin und kurzzeitige Ehefrau Mary Sweeney fungierte als weitere Produzentin.  

Geschrieben und inszeniert wurde Nadja von Michael Almereyda. Seine in die Business-Welt Manhattans versetzte Version von Hamlet (2000) – unter Beibehaltung der Originaldialoge von Shakespeare, mit prominenter Besetzung um Ethan Hawke, Kyle MacLachlan, Julia Stiles, Diane Venora und Sam Shepard – hatte ich vor 25 Jahren sogar im Kino gesehen. Mit Cymbeline adaptierte der 1959 geborene amerikanische Filmemacher 2014 ein weiteres Stück des Barden (wieder u.a. mit Ethan Hawke), welches in der Motorradgang-Szene spielt und in Deutschland unter dem Titel Anarchie erschien. Nadja wiederum war Almereydas drittes abendfüllendes Werk als Regisseur.

Das Drehbuch versetzt Figuren und Motive aus Bram Stokers Dracula ins New York der damaligen Gegenwart. Die titelgebende Protagonistin hat das verschlafene Transsylvanien und das ihrer Ansicht nach ebenfalls nicht so spannende Europa hinter sich gelassen, um sich ihre Opfer im Big Apple zu suchen. Richtig blutrünstig wird es hier allerdings nicht. Denn dazu präsentiert sich die Inszenierung zu entschleunigt und träumerisch. Mit seinen kontrastreichen Schwarzweiß-Bildern und Überblendungseffekten wirkt der Film wie eine Mischung aus einem Stummfilm à la Nosferatu (1922), einem Film Noir aus den 1940ern (die Hauptfigur taugt auch als Femme fatale) und einem reduzierten Arthouse-Streifen der 1990er im Stile von Jim Jarmusch (Dead Man, Coffee & Cigarettes), wobei letzterer seinen eigenen Vampirfilm (Only Lovers Left Alive) ja erst knapp 20 Jahre später umsetzen sollte

Almereyda und sein Team haben hier produktionstechnisch das Maximum aus dem geringen Budget herausgeholt. Als inszenatorischen Kniff gibt es immer wieder Aufnahmen mit einer Fisher-Price PixelVision-Spielzeugkamera, um die traumwandlerische Perspektive der Untoten zu veranschaulichen. Inhaltlich gestaltet sich „Transsylvanien NYC“, so der Titelzusatz auf dem DVD-Cover, leider eher unausgegoren, siehe die merkwürdigen, teils ungeklärten Verwandtschaftsverhältnisse und ein paar nicht weiter verfolgte Anspielungen. Wenn Nadja ihre Aversion gegen Butterbrote erklärt und Edgar die geistige Verbindung zu seiner Zwillingsschwester mit der Bezeichnung „telepathisches Fax“ umschreibt, so erweckt diese absurde Komik bei mir den Eindruck, dass David Lynch bei den Dialogen seine Finger im Spiel gehabt haben könnte.

Durchgehend gelungen erscheint mir Nadja nicht, aber neben den kuriosen Eigenheiten punktet der Film mit einer starken Besetzung. Die titelgebende Vampirin verkörpert mit Elina Löwensohn (Schindlers Liste) passenderweise eine rumänische Schauspielerin. In den letzten Jahren war Löwensohn als Kommissionsmitarbeiterin Carmen Saura in der EU-Politsatire Parlament (2020-2024) zu sehen. Mit Peter Fonda (Easy Rider, Ulee’s Gold) gelang es zudem, einen echten A-List-Akteur aus Hollywood zu gewinnen, welcher sich wegen der begrenzten finanziellen Möglichkeiten bereit erklärte, lediglich für den Mindestlohn der amerikanischen Schauspielergewerkschaft zu arbeiten. Fondas Van Helsing wirkt eher wie ein etwas trotteliger Althippie-Lehrer als ein ernstzunehmender Vampirjäger. Außerdem sehen wir Martin Donovan (Insomnia [2002], The Apprentice) als Van Helsings Neffen Jim, Jared Harris (Mad Men, The Crown) als Nadjas Zwillingsbruder Edgar und Suzy Amis (Die üblichen Verdächtigen, Titanic) als dessen Krankenschwester Cassandra.          

Fazit: Eigenwillig-stimmungsvoller, teils absurd komischer und inhaltlich etwas unausgegorener Arthouse-Horror. 6 von 10 Punkten.





Marius Joa, 25. Mai 2025. Bilder: Arthaus/Senator/Universum Film.


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