Spencer

Große Familienfeiern können anstrengend oder gar der reinste Horror sein. Vor allem wenn man die Prinzessin von Wales ist und vom starren Protokoll bei Hofe erdrückt wird. Diesem Thema hat sich Regisseur Pablo Larraín in seinem Drama Spencer, mit Kristen Stewart als Diana, gewidmet.


Spencer
Psychodrama UK, USA, Chile, Deutschland 2021. FSK: Freigegeben ab 12 Jahren. 117 Minuten. Kinostart: 13. Januar 2022.
Mit: Kristen Stewart, Timothy Spall, Jack Nielen, Freddie Spry, Jack Farthing, Sally Hawkins, Sean Harris, Stella Gonet u.a. Drehbuch: Steven Knight. Regie: Pablo Larraín.


All I need is a miracle

Weihnachten 1991. Diana (Kristen Stewart), Ehefrau des britischen Thronfolgers Charles (Jack Farthing), ist seit Jahren in ihrer Ehe unglücklich. Auch weil Charles weiterhin eine Affäre mit Camilla Parker-Bowles unterhält. Traditionell trifft die königliche Familie um die Monarchin Elizabeth II. (Stella Gonet) jedes Jahr an den drei Weihnachtsfeiertagen in Sandringham House zusammen. Jedes Detail ist strikt geregelt, sogar die Kleiderordnung zu den einzelnen Gängen des Festtagsmenüs. Diana fühlt sich von den starren Traditionen noch mehr eingeengt als sie es in ihrer Rolle als Frau des künftigen Königs Großbritanniens ohnehin schon ist. Noch dazu überwacht sie der für das Zeremoniell zuständige Major Gregory (Timothy Spall) auf Schritt und Tritt. Und die Argusaugen der royalen Familie sowie der internationalen Presse sind ohnehin auf die unter einer Essstörung leidenden Prinzessin gerichtet. Nur die Zeit mit ihren Söhnen William (Jack Nielen) und Harry (Freddie Spy) bereiten Diana Freude…

Kristen Stewart, geboren am 9. April 1990, hat sich in den letzten zehn Jahren eindeutig vom Image des Teenie-Stars aus der Verfilmung der toxisch-reaktionären Vampirschomzes-Romanreihe Twighlight aus der Feder von Stephenie Meyer freigeschwommen. Ich selbst habe erst im letzten Jahr erstmals einen Film mit der amerikanischen Schauspielerin gesehen. In JT Leroy (2018, in Deutschland erst 2021 erschienen) war Stewart als Darstellerin des gleichnamigen fiktiven Autors zu sehen, welcher in den 2000er Jahren für einen echten Skandal in der Literaturwelt sorgte. Sich an Weihnachten mit der Familie des Partners unwohl fühlen, das spielte die 31jährige bereits im 2020 veröffentlichten Happiest Season, welcher auch um das Coming Out vor den Eltern ging. Stewarts zweite Performance in ähnlichem Setting gestaltet sich aber dafür umso stärker inszeniert und intensiver gespielt.

Der chilenische Filmemacher Pablo Larraín (geboren 1976) hat sich bisher vor allem als Regisseur von Jackie (2016), einem Oscar-nominierten Biopic über die berühmte First Lady und Kennedy-Witwe Jackie Kennedy, mit Natalie Portman, und als Produzent des mit einem Auslandsoscar ausgezeichneten chilenischen Films Eine fantastische Frau (2017) gemacht. Sein neuestes Werk widmet sich einer weiteren ikonischen Frau des 20. Jahrhunderts, Lady Diana Spencer (1961-1997), später Prinzessin von Wales und Ehefrau des britischen Thronfolgers. Nach der Märchenhochzeit 1981 sowie der Geburt der Söhne William (1982) und Harry (1984) taten sich aber bald große Differenzen zwischen den Eheleuten auf. Beide hatten in der Folge außereheliche Affären, aber Charles’ fortwährende Beziehung zu seiner langjährigen Vertrauten Camilla Parker-Bowles, die er 2005 auch heiratete, hing schon lange als Damoklesschwert über der Ehe. 1996 wurden Diana und Charles geschieden. Am 31. August 1997 verstarb Diana auf tragische Weise nach einem Autounfall in Paris, gemeinsam mit ihrem Lebensgefährten Dodi Fayed.

Spencer ist kein Doku-Drama und erzählt auch keine sich auf wahren Begebenheiten stützende Geschichte, sondern wird gleich zu Beginn als “Fabel, die auf einer wahren Tragödie beruht” ausgewiesen. Das Drehbuch von Steven Knight (Tödliche Versprechen, Locke) wagt eine Spekulation, wie sich das Weihnachtsfest 1991 aus der Sicht von Diana abgespielt haben könnte und entwickelt daraus ein Psychogramm der überaus beliebten, aber gleichzeitig auch sehr unglücklichen Frau. Beileibe kein Stoff für Boulevard-Fans, sondern ein eher ungewöhnliches Werk über Isolation und Ängste. Die Kamera von Claire Mathon (Porträt einer jungen Frau in Flammen) hält sich meist nah an der Protagonistin auf, stolpert und rennt mit ihr durch die endlosen Gänge des Anwesens. Trotz aller erlesenen Kulissen gestaltet sich das Ambiente kalt und trostlos. Gedreht wurde übrigens weniger im Vereinigten Königreich als vielmehr in deutschen Schlössern, darunter Schlosshotel Kronberg im Taunus, Schloss Marquardt nördlich von Potsdam und Schloss Nordkirchen in Nordrhein-Westfalen.

Neben der beklemmenden Bildgestaltung sorgt für allem die Musik von Jonny Greenwood für eine unheimliche Atmosphäre. Der auch als Leadgitarrist und Keyboarder von Radiohead bekannte britische Musiker vermischt klassisches Klavier und Streicherklänge mit Jazz-Elementen, eine perfekte musikalische Entsprechung der zwischen Protokoll und Freigeistigkeit zerrissenen Hauptfigur. Kristen Stewart hatte man als aussichtsreiche Kandidatin für die Rolle der von den Medien verfolgten Königin der Herzen nicht unbedingt auf den Schirm. Doch Stewart verschwindet förmlich in der ikonischen Rolle. Es gelingt ihr meisterhaft Dianas schüchtern-verlegenes Wesen und deren Akzent nachzubilden. Emma Corrin war als Diana in der vierten Staffel von The Crown (2020) schon herausragend, aber Kristen Stewart macht es fast noch besser. Interessanterweise gab es im Staffelfinale der Serie von Peter Morgan auch ein paar thematisch sehr ähnliche Szenen. Spencer könnte man daher als “alternatives Spinoff” zur hochwertigen Netflix-Produktion sehen. Die übrigen Royals haben wenig Screentime, vielmehr sind es die Mitglieder des Personals, wie Sean Harris als Chefkoch Darren McGrady (den es wirklich gibt), der physiognomisch unverwechselbare Timothy Spall als fiktiver Zeremonienmeister sowie Sally Hawkins als Dianas Garderobiere und Vertraute Maggie, die auf einer nicht genanntn realen Person basiert. Zwischenzeitlich lässt Larraín die Grenzen zwischen Traum und Wirklichkeit etwas verschwimmen, bringt seine Protagonistin doch am Ende wieder auf den Boden der Tatsachen zurück. Es spricht für Kristen Stewarts Darbietung, dass man ihr das herbeigesehnte Wunder, das Happy End wünscht, obwohl man natürlich weiß, wie die ganze Angelegenheit wirklich ausging.

Fazit: Beklemmend eingefangenes Drama über eine psychisch angeschlagene Frau, mit der einmaligen Kristen Stewart als unglückliche Prinzessin Diana. 8 von 10 Punkten.

 

Diana scheint am Ende
 

Gregory verfolgt jeden ihrer Schritte

Familienfoto

 

Marius Joa, 15. Januar 2022. Bilder: DCM.

 


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