Junk Head

Als besondere Vorführung wurde auf dem 49. Internationalen Filmwochenende in Würzburg auch Junk Head gezeigt. Der dystopische Stop-Motion-Animationsfilm wurde von Regisseur Takahide Hori fast im Alleingang erschaffen.


Junk Head
Stop-Motion-Animation/Science-Fiction-Film Japan 2017/2021. 101 Minuten. Kinostart: unbekannt.
Originalsprecher: Takahide Hori, Atsuko Miyake, Yuki Sugiyama. Drehbuch und Regie: Takahide Hori.



Welt ohne Menschen

In ferner Zukunft. Die Menschen haben eine lange Lebensspanne erreicht, sind aber durch fortschreitende Unfruchtbarkeit fast ausgestorben. Eine künstliche Intelligenz wird in die Unterwelt geschickt, um das Geheimnis der Fortpflanzungsfähigkeit zu ergründen. Dort trifft die KI eine Gruppe genetisch erzeugter Wesen, die seinen nach dem Absturz zerstörten Roboter-Körper neu zusammenbauen. Doch die Welt unter der Erdoberfläche entpuppt sich als gefährlicher Ort, wo überall monströse Kreaturen lauern. Die KI erlebt turbulente Abenteuer und begegnet unterschiedlichen Gestalten, welche alle irgendwie in der Untergrnd-Tristesse zu überleben versuchen…

Takahide Hori wurde 1971 in der Präfektur Oita auf Kyushu, der südlichsten der vier Hauptinseln Japans, geboren. Nach dem Schulabschluss zog er nach Tokio, mit dem Ziel als Maler und Bildhauer zu arbeiten. Hori startete eine Karriere als Innenarchitekt, schuf in seiner Freizeit Bilder, Skulpturen und Puppen. Mit Ende 30 kam Hori auf die Idee, einen Stop-Motion-Trickfilm zu drehen. Inspiriert wurde er durch Makoto Shinkai (Your Name), der seinen 25minütigen Anime-Beitrag Voices of A Distant Star (2002) komplett allein umgesetzt hatte. Hori begann 2009 mit der Arbeit an seinem Erstling. Nach vier Jahren war eine 30minütige Kurzfilm-Fassung, Junk Head 1 (2013), fertig und löste beim mexikanischen Filmemacher Guillermo del Toro, welcher kürzlich eine Stop-Motion-Version von Pinocchio inszeniert hat, und anderen große Begeisterung aus. Nach weiteren drei Jahren vervollständigte Hori die abendfüllende Fassung von Junk Head, die erstmals 2017 und in einer neu geschnitten Version 2021 veröffentlicht wurde.

Stop-Motion-Animation ist die zeitaufwändigste Technik unter den Trickfilmen, weil jede kleine Bewegung der einzelnen Figuren per Hand vorgenommen werden muss. Für die 101 Minuten lange Endfassung von Junk Head bedurfte es140.000 Kameraeinstellungen, die Takahide Hori alle selbst aufnahm. Neben Skript, Kameraführung und Regie war Hori auch maßgeblich für Belichtung, Schnitt, Musik, Erschaffung der Figuren und die Stimmaufnahmen zuständig. Die Räumlichkeiten seines Innenarchitektur-Unternehmens wurden zum Filmstudio und Hori reduzierte seine normale Arbeit auf eine Woche pro Monat, um sich verstärkt seinem Filmprojekt widmen zu können, in welchem er schließlich vollends aufging. Doch auch abseits der Tatsache, dass es sich hierbei quasi um ein One-Man-Filmprojekt handelt erweist sich Junk Head als eindrucksvolles Endzeitabenteuer, das man als Zuschauer*in in dieser Form noch nie zuvor gesehen hat.

Das postapokalytische Setting und ein Roboter als Protagonist, das erinnert natürlich sehr an den Pixar-Film WALL-E – Der letzte räumt die Erde auf (2008). Diese Vibes werden auch durch den unverständlichen Kauderwelsch (weder Japanisch oder irgendeine andere existierende Sprache), den die Charaktere miteinander sprechen, transportiert. Gnädigerweise wurden die Dialoge untertitelt. Für Kinder erscheint das Werk aber nicht geeignet. Denn in der hier gezeigten trostlosen Unterwelt hausen gefräßige Monster, welcher der dunklen Fantasie des Schweizer Künstlers H.R. Giger (Alien) entsprungen sein könnten. Aber auch abgesehen von den tödlichen Gefahren gestaltet sich die Situation in der Postapokalypse trist und eintönig. Die dort lebenden Mutanten gehen meist einer gleichförmigen Arbeit nach, deren tieferer Sinn über die Jahrhunderte vergessen wurde. Als manche auf den Protagonisten treffen und ihn für einen möglichen Gott halten, scheint ihre traurige Existenz wieder an Sinn zu gewinnen. Der Held stirbt aufgrund widriger Umstände immer wieder, nur um von den intelligenten Kreaturen dank diverser Roboter-Teile neu erweckt zu werden. Quasi Wiedergeburt in der Unterwelt.

Junk Head präsentiert ein Endzeit-Szenario ohne Menschen. Es gibt zwar möglicherweise noch welche an der Oberfläche, doch für die Mutanten unter der Oberfläche haben Menschen eher den Status von mythischen Wesen. Und doch menschelt es bisweilen unter den diversen Bewohnern der industriell geprägten Unterwelt, auch in Interaktion mit dem Cyborg-Protagonisten. Es ist dieses Nebeneinander von Dystopie, skurrilem Abenteuer und kuriosen Begegnungen, das Horis Erstling so besonders macht. Dazu gibt es zwischendurch auch ein paar Actionszenen in gekonnter Zeitlupen-Ästhetik à la Matrix.

Takahide Horis Junk Head lief auf zahlreichen Filmfestivals, kam in Japan und Frankreich auch regulär in die Kinos. Eine flächendeckende Veröffentlichung in den deutschen Kino, als Stream oder auf DVD/BluRay ist derzeit bedauerlicherweise nicht in Sicht. Dabei verdient es dieser eigenwillige Stop-Motion-Film auch hierzulande von einem größeren Publikum gesehen zu werden.

Fazit: Mit extrem viel Liebe zum Detail und unermüdlicher Kunst hat Debütant Takahide Hori über einen Zeitraum von sieben Jahren sein einzigartiges Stop-Motion-Endzeit-Abenteuer voller grotesker Gestalten und skurrilem Humor erschaffen. 9 von 10 Punkten.


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Marius Joa, 12. Februar 2023. Bilder: Yamiken/Gaga.


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