Scott Pilgrim hebt ab

Mit Scott Pilgrim gegen den Rest der Welt (2010) adaptierte der britische Regisseur Edgar Wright die Scott Pilgrim-Graphic-Novel-Reihe des kanadischen Autors und Zeichners Bryan Lee O’Malley als Spielfilm. Mitte November 2023 ist eine neue Adaption der Vorlage als Anime-Serie erschienen, mit dem prominenten Ensemble aus Wrights Film als Sprecher*innen. 



Scott Pilgrim hebt ab (Scott Pilgrim Takes Off)
Science-Fiction/Fantasy/Comedy/Anime-Serie Kanada, Japan, USA, UK 2023. 8 Folgen. Gesamtlänge: ca. 220 Minuten.
Originalsprecher: Mary Elizabeth Winstead (Ramona Flowers), Michael Cera (Scott Pilgrim), Satya Bhabha (Matthew Patel), Kieran Culkin (Wallace Wells), Chris Evans (Lucas Lee), Anna Kendrick (Stacey Pilgrim), Brie Larson (Envy Adams), Alison Pill (Kim Pine), Aubrey Plaza (Julie Powers), Brandon Routh (Todd Ingram), Jason Schwartzman (Gordon „Gideon Graves“ Goose), Johnny Simmons (Young Neil), Mark Webber (Stephen Stills), Mae Whitman (Roxy Richter), Ellen Wong (Knives Chau) u.a. Nach der Graphic-Novel-Reihe von Bryan Lee O’Malley. Adaption: Bryan Lee O’Malley und BenDavid Grabinski. Regie: Abel Góngora.



Abgehoben und abgedreht

Zwischen 2004 und 2010 veröffentlichte der koreanischstämmige Kanadier Bryan Lee O’Malley die Geschichte von Scott Pilgrim als Graphic Novel in sechs Bänden. Darin trifft der antriebslose Titelheld und Bassist der Indie-Band Sex Bob-Omb auf Ramona Flowers, die Frau seiner Träume. Doch bevor die beiden ein Paar werden können muss es Scott erst nacheinander mit ihren Ex-Freund*innen, der „League of Evil Exes“, aufnehmen: Sänger Matthew Patel, Schauspieler/Skateboarder Lucas Lee, der vegane Musiker Todd Ingram, Ninja-Kämpferin Roxy Richter, die japanischen Zwilinge Kyle und Ken Katayanagi sowie der Medienmogul Gideon Graves. Diese grobe Story bildet auch den Kern der Real-Verfilmung von Edgar Wright (u.a Blood-and-Ice-Cream-Trilogie).

Die auf Netflix veröffentlichte Anime-Serie, welche von O’Malley gemeinsam mit BenDavid Grabinski (Are You Afraid of the Dark [Serie]) entwickelt und komplett geskriptet wurde, verändert das Szenario an einer entscheidenden Stelle: Scott verliert den ersten Kampf mit Matthew Patel und gilt als tot. Doch Ramona spürt, dass Scott noch unter den Lebenden weilt und auf mysteriöse Weise verschwunden ist. Bei ihren Nachforschungen zu Scotts Verschwinden befragt sie nacheinander ihre Ex-Partner und Scotts Freundeskreis.

Matthew Patel fordert Scott heraus

Ich persönlich kenne bisher nur die filmische Umsetzung des Stoffes, wenngleich ich mit Lost At Sea (2003) eine andere Graphic Novel von O’Malley gelesen habe. Der Ansatz, die aus Vorlage und Kino-Adaption bekannte Handlung nicht einfach nochmal zu erzählen, sondern die ganze Geschichte mit anderen Entwicklungen und Schwerpunkten neu zu interpretieren, empfinde ich als erfrischend. Die bisherige Mischung aus Indie-Musikfilm, Nerd-Abenteuer und Videospiel-Action wird um zusätzliche Elemente ergänzt. Vor allem spielt man hier genüsslich mit Meta-Ebenen, etwa wenn Scott Pilgrims Leben vom Regisseur Edgar Wrong (!) verfilmt werden soll und ausgerechnet Scotts superfolgreiche Ex-Freundin Envy Adams die Rolle von Ramona übernimmt. Oder während einer Klopperei in einer Videothek, bei welcher sich die Kämpfenden teils in die Filme „hineinversetzen“.      
  
Die Modifikation der Dramaturgie und die zeitlichen Möglichkeiten (die Serie dauert ziemlich genau doppelt so lang wie der Film) erlauben es O’Malley und Grabinski einigen Figuren aus der zweiten Reihe mehr Screentime und Tiefe zu geben. Außerdem werden manche Aspekte nun ausgewogener gestaltet. Pfiffig auch die Spiegelung der Ursprungskonstellation. Ramona ist hier keine „Damsel-in-Distress“ mehr die von Scott vor ihren Exes gerettet werden bzw. erobert werden muss, sondern sie nimmt das Aufspüren ihres Love Interests in die eigene Hand.  

Auch abseits der inhaltlichen Modernisierung macht Scott Pilgrim aus inszenatorischer Sicht einfach einen Riesenspaß. Das japanische Animationsstudio Science SARU (u.a. Inu-Oh) und der spanische Regisseur Abel Góngora (Star Wars: Visions) liefern überaus effektvolle Szenen und eine stilistisch hochwertige Ästhetik. Kurios wirken die Unschärfen, die man sonst nur von Kameraeinstellungen bei Realfilmen kennt. Die Serie zelebriert gekonnt die grenzenübergreifenden Möglichkeiten einer animierten Produktion. Die für Anime typische, überstilisierte Optik der Figuren findet hier zwar Anwendung, aber in sehr in dezenter Form.

Die halbe Miete ist allerdings, dass bis auf die Darsteller der Katayanagi-Zwillinge Shota Saito und Keita Saito alle Akteure aus dem Spielfilm für ihre Rollen in der englischen Orignialfassung zurückkehren: Michael Cera als putziger Scott Pilgrim, Mary Elizabeth Winstead als selbstbewusste und überlegte Ramona Flowers, Satya Bhabha als ehrgeiziger Matthew Patel, Chris „Captain America“ Evans als lässiger Hollywood-/Skateboardstar Lucas Lee, Brandon „Superman“ Routh als Todd Ingram (nur echt mit „veganen“ Superkräften), Mae Whitman als aggressive Ninja-Kämpferin Roxy Richter, Jason Schwartzman als scheinbarer Oberbösewicht Gideon Graves, Aubrey Plaza als genervt-temperamentvolle Julie Powers, Brie „Captain Marvel“ Larson als Scotts megaerfolgreiche Ex Envy Adams, Ellen Wong als Scotts platonische Freundin Knives Chau sowie Johnny Simmons als Young Neil, Alison Pill als Drummerin Kim Pine, Mark Webber als emotionaler Gitarrist Stephen Stills und Kieran Culkin als Scotts Mitbewohner Wallace Wells.

Die achtteilige Anime-Serie Scott Pilgrim hebt ab ist seit dem 17. November 2023 Teil des Angebots von Netflix.

Fazit: Spaßige, rasant-verrückte, toll animierte und stark erzählte Neuinterpretation von Scott Pilgrim und seinen Abenteuern. 8 von 10 Punkten.



Sex Bob-Omb beim Proben
Zweikampf mit der Ex



Marius Joa, 15. Dezember 2023. Bilder: Netflix.

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