Watchmen (Serie)

Ein Jahrzehnt nach der mäßig erfolgreichen, aber gelungenen Verfilmung von Watchmen nahm sich Lost-Miterfinder Damon Lindelof des Stoffes an und schuf eine Art Fortsetzung der bahnbrechenden Graphic Novel als TV-Serie…

Watchmen
Science-Fiction/Drama-Serie USA 2019. 9 Folgen. Gesamtlänge: ca. 515 Minuten.
Mit: Regina King, Jean Smart, Tim Blake Nelson, Yahya Abdul-Mateen II, Jeremy Irons, Tom Mison, Sara Vickers, Hong Chau, Louis Gossett Jr. u.v.a. Idee: Damon Lindelof. Nach Charakteren von Alan Moore und Dave Gibbons.


Nothing ever ends

2019, 34 Jahre nachdem ein gigantischer Oktopus drei Millionen Menschen in New York getötet hat. Der frühere Schauspieler Robert Redford ist seit längerem Präsident der Vereinigten Staaten und hat für die Opfer rassistisch motivierter Gewalttaten Entschädigungen eingeführt. In Tulsa, im Bundestaat Oklahoma, tragen Polizisten Masken, um ihre Identität zu schützen. Zu den maskierten Gesetzeshütern gehört Angela Abar alias Sister Night (Regina King), die unter Führung von Chief Judd Crawford (Don Johnson) gemeinsam mit ihren Kollegen Looking Glass (Tim Blake Nelson) und Red Scare (Andrew Howard) versucht, der Siebten Kavalrie, eine Terrorgruppe von weißen Rassisten mit Rorschach-Masken, das Handwerk zu legen. Als Chief Crawford tot aufgefunden wird tritt FBI-Agentin Laurie Blake (Jean Smart) auf den Plan, um die Ermittlungen zu leiten. Angela wird von einem alten Mann (Louis Gossett Jr.) kontaktiert, der kurz darauf entführt wird. Die Spur des verschwundenen Mannes führt zur Milliardärin Lady Trieu (Hong Chau), deren Konzernimperium seinen Sitz vor Ort hat. Unterdessen vertreibt sich der Herr eines edlen Landsitzes (Jeremy Irons) seine Zeit mit allerlei Arten der Zerstreuung…

Für die Superhelden-Comicwelt bedeutete die zwischen September 1986 und Oktober 1987 in 12 Teilen veröffentliche Graphic Novel Watchmen von Autor Alan Moore (V for Vendetta, Batman: The Killing Joke, From Hell, The League of Extraordinary Gentlemen) und Zeichner Dave Gibbons (2000 AD, Green Lantern) eine massive Zäsur. Das Duo dekonstruierte die strahlenden Heroen der klassischen Sprechblasen-Stories und schuf eine düstere Alternativwelt des Kalten Krieges. Weil er mit den Verfilmungen von From Hell (2001) und League of Extraordinary Gentlemen (2003) schlechte Erfahrungen gemacht hatte, wurde Moore auf eigenen Wunsch bei weiteren Adaptionen nicht mehr involviert. Bei V wie Vendetta (2006) und Watchmen (2009) war sein Name nicht mehr in den Credits genannt und Moore erhielt wie gewünscht auch keine Tantiemen.

Sein Haltung zu den teils banalen Verfilmung der vielschichtigen Werke ist nachvollziehbar. Im Laufe seiner Karriere überwarf sich Moore auch immer wieder mit den unterschiedlichen Publishern, weil vor allem im amerikanischen Comicbusiness die Rechte der Figuren fast immer bei den mächtigen Verlagen (wie DC oder Marvel) liegen und es dadurch oft passiert, dass ein Autor/Zeichner die von ihm geschaffenen Figuren nicht weiter verwenden darf und dass zudem ohne seine Erlaubnis Geschichten weitergeführt oder ergänzt werden. So geschehen auch bei der Graphic Novel Watchmen, die 2012/13 eine Prequel-Reihe namens Before Watchmen “spendiert” bekam, unter Mitwirkung von großen Namen wie Brian Azzarello, Len Wein und J. Michael Straczynski. Besonders absurd erscheint aus meiner persönlichen Sicht die Vermischung des regulären DC-Comic-Universum (mit bekannten Figuren wie Superman, Batman usw.) mit der Welt von Watchmen wie es in Doomsday Clock (2017-2019) geschah. Zum Vergleich: welcher Fan würde sich ernsthaft freuen wenn die Original-Figuren aus Star Wars plötzlich auf die Charaktere aus der Parodie Spaceballs aufeinander träfen?

Nichtsdestrotz gelang Regisseur Zack Snyder und seinem Team mit der Leinwandversion von Watchmen aus dem Jahr 2009 eine adäquate Adaption, vor allem im erst vor einigen Wochen in Deutschland erschienenen Ultimate Cut. Damon Lindelof, Miterfinder und Co-Autor der hoch gelobten Serien Lost (2004-2010) und The Leftovers (2014-2017), schuf für den US-Bezahlsender HBO eine TV-Adaption von Moores und Gibbons’ legendärer Graphic Novel, die aber nicht als direkte Verfilmung funktioniert, sondern im Geiste der Vorlage das Szenario auf das Jahr 2019 überträgt. Manche der Hauptfiguren aus dem Comic tauchen auch hier auf, wenngleich an dieser Stelle nicht verraten wird wer. Treibende Kraft hinter dem Projekt, bevor Lindelof überhaupt involviert wurde, war HBO. Der amerikanische Kabelsender feierte seine Hochzeit vor allem von den 2000er bis Mitte der 2010er als Quelle hochwertiger Serien mit vielschichtigen Charakteren wie The Sopranos (1999-2007), Six Feet Under (2001-2005), Deadwood (2004-2006), Rom (2005/2007), In Treatment (2008-2010), True Blood (2008-2014), Boardwalk Empire (2010-2014), Game of Thrones (2011-2019) und True Detective (2014-?). Auch wenn HBO zuletzt mit Serien wie Westworld (seit 2016), Succession (seit 2018) und Big Little Lies (seit 2017) wieder große Erfolge feiern konnte so steht der US-Sender aus meiner Sicht heute ein wenig im Schatten der großen Streaminganbieter. Watchmen dient aber als eindeutiger Beleg für die weiterhin hohe Qualität seiner Produktionen.

Von vorneherein war eine einfache Adaption des 12teiligen Comics oder ein Reboot überhaupt kein Thema. Lindelof (der acht von neun Episoden selbst schrieb oder mitverfasste) und sein Autorenteam nehmen dagegen die alternativ-geschichtlichen Inhalte von Moore und Gibbons wieder auf, um diese auf eine potenzielle Gegenwart zu adaptieren. Im Zentrum dieses “Sequels im Geiste” steht mit Angela Abar/Sister Night nicht nur eine Polizistin/Vigilantin sondern auch eine afroamerikanische Frau, deren familiäres und kulturelles Erbe den Hintergrund einer von Rassismus, Hass und Gewalt geprägten US-Historie bildet. Natürlich geht es auch um kostümierte Superhelden und deren Vermarktung. Doch diese Vigilanten sind natürlich auch nur Produkte ihrer Zeit. Im Jahre 2019 der Serie gibt es zwar Computer, aber diese sind nicht in jedem Haushalt zu finden. Smartphones sucht man vergeblich, die Menschen kommunizieren per Festnetztelefon, Funk oder Pager. Auch die historischen Entwicklungen der Comicvorlage werden konsequent weitergeführt. So ist Vietnam nach dem Gewinn der Krieges 51. Bundesstaat der USA.

Inhaltlich wechselt die Show zwischen der Gegenwartshandlung und dem Aufarbeiten entsprechender Ereignisse aus der Vergangenheit. Dabei ähnelt das Gesamtbild in seiner Struktur sehr der Graphic Novel mit ihrer Mischung aus Gesellschaftsdrama, meist nostalgischem Blick auf die Vergangenheit und metafiktionaler Intertextualität. So gibt es mit “American Hero Story”, eine Show-in-der-Show, die im Stile der Produktionen von Ryan Murphy (American Horror Story, American Crime Story) vom geheimnisvollen Vigilanten Hoodes Justice handelt, dessen wahre Geschichte sich dann aber doch ganz anders gestaltet. Die “historischen” Einschübe verleihen der Serie teilweise Anthologie-Charakter, ähnlich wie bei American Gods, der Adaption von Neil Gaimans gleichnamigen Roman. Durch diese ganzen Zutaten entsteht eine in sich stimmige Parallelwelt, die unserer Realität in vielerlei Hinsicht ähnelt, sich in manchen Dingen aber doch ziemlich unterscheidet. Das Massaker an 300 afroamerikanischen Bürgern in Tulsa von 1921, das wirklich stattgefunden hat, aber teilweise in Vergessenheit geriet, eröffnet die erste Folge und dient als Kernpunkt der Serienhandlung.

Von Fans der Figur Rorschach aus dem Comic erhielt die Serie viel Kritik, weil die rassistische Terrormiliz Seventh Kavalry dessen Tintenklecksmaske als Markenzeichen verwendet und nach deren Meinung ihr Held dadurch völlig falsch interpretiert wird. Nur haben diese Kritiker scheinbar nicht verstanden, dass Rorschachs reaktionäres, objektivistisches Weltbild eine rassistische Lesart durchaus zulässt und er keinesfalls als positive Identifikationsfigur taugt. Den einzig wirklichen Kritikpunkt, den sich Lindelofs TV-Adaption gefallen lassen muss: Zuschauer, die weder die Graphic Novel kennen oder wenigstens Zack Snyders Kinoversion gesehen haben, dürften sich hier schwer tun. Auch wenn manche Details erklärt werden so setzt die HBO-Produktion doch Vorkenntnisse voraus.

Eine Weiterführung der Show steht ziemlich in den Sternen. Für Damon Lindelof ist die Angelegenheit nach den neuen Folgen beendet, wenngleich er einem potenziellen Nachfolger als Showrunner nicht im Wege stehen würde. HBO scheint an einer zweiten Staffel ohne den renommierten Fernsehautoren/-produzenten ebenfalls nicht sehr interessiert und betrachtet Watchmen daher als “Limited Series”. Nicht nur wegen des offenen Endes, sondern auch weil einige Nebenfiguren sicherlich mehr Raum verdient hätten, wahrlich ein Verlust für die Serienwelt. Aber auch gleichzeitig eine respektable Entscheidung, in Zeiten von endloser “Sequelitis” eben nicht weiter zu machen.

Nach ihrer Premiere von November bis Dezember 2019 bei Sky ist die Watchmen-Serie aktuell bei diversen Streaminganbietern wie Amazon, Google Play oder Videoload verfügbar. Eine Auswertung auf DVD oder BluRay steht noch aus.

Fazit: Faszinierend komplexe Neuinterpretation der legendären Graphic Novel, die auch als deren würdige Fortsetzung funktioniert. 9 von 10 Punkten.

 

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Marius Joa, 23. Februar 2020. Bilder: HBO/Sky.

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