Emily the Criminal

Emily hat Schulden aus ihrer Studienzeit und wegen einer Vorstrafe große Probleme einen gut bezahlten Job zu finden. Als Ausweg erscheint das lukrative Geschäft mit gefälschen Kreditkarten, in John Patton Fords Regiedebüt Emily the Criminal, mit der einmaligen Aubrey Plaza in der Hauptrolle.

Emily the Criminal
Krimidrama USA 2022. FSK: Freigegeben ab 16 Jahren. 97 Minuten.
Mit: Aubrey Plaza, Theo Rossi, Megalyn Echikunwoke, Jonathan Avigdori, Bernardo Badillo u.a. Drehbuch und Regie: John Patton Ford.

Abstieg in die Unterwelt

Aus familiären Gründen musste Emily Benetto (Aubrey Plaza) ihr Kunststudium aufgeben und hat nun mit den Rückzahlungen ihres Studienkredits zu kämpfen. Wegen einer Vorstrafe sind ihre Chancen bei ordentlich bezahlten Jobs denkbar schlecht. Daher verdingt sich Emily als Zustellerin eines Essenslieferdienstes. Um einfacher an Geld zu kommen schlägt ihr Arbeitskollege Javier (Bernardo Badillo) sie für einen Job bei einem Bekannten vor. Emily lernt Youcef (Theo Rossi) kennen, der sie in die Welt des Kreditkartenbetrugs einweist. Als sogenannter “Dummy Shopper” hat sie nach anfänglichen Rückschlägen recht schnell Erfolg und Youcef weist ihr einen eigenen Zuständigkeitsbereich zu, sehr zum Unmut seines Cousins und Partners Khalil (Jonathan Avigdori). Doch die neue Karriere bringt auch Schattenseiten mit sich…

Seit ihrer unnachahmlichen Performance als dämonische Leonore “Lenny” Busker in der absolut einzigartigen Comichelden-Serie Legion verehre ich Aubrey Plaza. Wegen ihrer absolut trockenen Art des Humors hat die 1984 geborene Schauspielerin schon einige kultige Talkshow-Auftritte hingelegt. Und sich auch vom Image des “crazy girl” erfolgreich freigespielt, auch wenn ihre Hauptrollen in An Evening with Beveryl Luff Linn (2018) oder Ingrid Goes West (2017) durchaus in diese Richtung gehen. Zuletzt gab es mit dem weihnachtlichen Happiest Season (2020) und Best Sellers (2021), letzterer an der Seite der britischen Leinwandlegende Michael Caine, durchaus auch ernstere Rollen. Neben ihrem nuancierten Spiel in der zweiten Staffel von White Lotus, welches ihr eine Golden-Globe-Nominierung als beste Nebendarstellerin in einer Serie einbrachte, hat Plaza in den letzten Jahren vor allem an kleinen, aber hochwertigen Indie-Produktionen maßgeblich mitgewirkt, oft im Zusammenhang mit dem renommierten Independent-Festival in Sundance.

Während ich nach etwa drei Jahren noch immer auf einen Release von Black Bear (2020) hierzulande warte, wurde ein anderer Film mit Aubrey klammheimlich irgendwann im Januar 2023 als Stream in Deutschland veröffentlicht. In Emily the Criminal von John Patton Ford (und von Ms. Plaza mitproduziert) spielt sie eine Frau mit Geldproblemen, welche in der normalen Arbeitswelt nicht Fuß fassen kann und deswegen ihr Heil in der Kriminalität sucht. Eindrucksvoll beweist Aubrey in der Hauptrolle, dass sie sich schauspielerisch massiv weiterentwickelt hat und es gab schon für weniger eindringliche Darbietungen zahlreiche Filmpreise.

Die Protagonistin hat es nicht leicht im Leben. Ihr Kunststudium musste Emily abbrechen, um ein krankes Familienmitglied zu pflegen. Die Ratenzahlung für ihren Studienkredit kann sie mit ihrem mäßig bezahlten Job als “freelancer” beim Essenslieferdienst kaum bedienen und an lukrative Arbeitsstellen kommt sie aufgrund ihrer Vorstrafe aus der Vergangenheit nicht ran. Emilys Studienfreundin Liz (Megalyn Echikunwoke, 4400 – Die Rückkehrer) hatte mehr Glück und arbeitet nun in einer lukrativen Position in einer schicken Designfirma. Regisseur und Drehbuchautor John Patton Ford, der hier sein Langfilmdebüt gibt, verarbeitet eigene Erfahrungen mit undankbaren Beschäftigungen während und nach der Studienzeit sowie die finanziellen Probleme bei der Rückzahlung eines Darlehens aus dem Studium während Aubrey Plaza sich in jüngeren Jahren auch durch Low-Entry-Jobs und Praktika kämpfen musste.

Hinter der Handlung um Emilys Abstieg in die Kriminalität steht die Kritik an der amerikanischen Lebensrealität, die junge Leute mit Schulden aus dem Studium zurücklässt, diese dann in einer perspektivlosen Arbeitswelt mit Aushilfsjobs und unbezahlten Praktika mit Hinhaltetaktik vollends im Abseits parkt. Emily hat davon irgendwann genug, was auch in den beiden gezeigten Vorstellungsgesprächen deutlich wird. Genug davon, wegen ihrer Vorstrafe benachteiligt zu werden, oder doch wieder nur als unbezahlte Praktikantin ausgebeutet zu werden. Genug von diesem unmenschlichen System, im Land der angeblich unbegrenzten Möglichkeiten, die aber nur jene mit großen Glück in der Geburtslotterie besitzen.

Der Regisseur und sein Team vermeiden allerdings ein kitschiges Sozialdrama oder einen reißerischen Krimiplot. So unvermittelt wie die Situationen auf die titelgebende Antiheldin einbrechen, so nimmt man sie auch als Zuschauer*in wahr. Alles wirkt authentisch und realistisch, vor allem durch die fesselnde Performance von Aubrey Plaza, die zuletzt als abgedrühte Agentin in Guy Ritchies generisch-unterhaltsamen Geheimdienst-Knaller Operation Fortune (2023) zu sehen war, hier aber ohne übermäßiges Drama die Entwicklung ihrer Figur glaubhaft darstellt. Somit nimmt Emily the Criminal, auch dank der sich nahe an den Figuren bewegenden Kamera von Jeff Bierman, mit auf einen eindringlichen Abstieg in die kriminelle Unterwelt der übelsten Ecken von Los Angeles, wo der Film für ein geringes Budget zwischen 1,5 und 2 Millionen Dollar gedreht wurde. Und erst im Nachhinein habe ich kapiert, dass während der gesamten Laufzeit keine einzige Schusswaffe zum Einsatz kommt. Erstaunlich für eine Produktion aus dem Land der absoluten Waffennarren und der entsprechenden Kriminalstatistik was Todesfälle durch Handfeuerwaffen betrifft.

Emily the Criminal ist seit Januar 2023 als kostenpflichtiger Stream bei diversen Anbietern abrufbar.

Fazit: Eindringliches Krimidrama als sozialkritische Bestandsaufnahme der Perspektivlosigkeit vieler Menschen in der amerikanischen Arbeitswelt mit einer sehr starken Aubrey Plaza als kompromissloser Antiheldin. 9 von 10 Punkten.

Emily findet keinen soliden Job…
…und verdingt sich mit Kreditkartenbetrug



Marius Joa, 17. Februar 2023. Bilder: Low Spark Films.


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