His Dark Materials: Staffel 1

Gut 10 Jahre nach dem Kinofilm Der Goldene Kompass (2007) wurde die Romanreihe His Dark Materials von Autor Philip Pullman als Serie adaptiert. Eine mehr als sinnvolle Herangehensweise, zumindest in Anbetracht der ersten Staffel.

His Dark Materials: Staffel 1 (His Dark Materials: Season 1)
Fantasyserie UK, USA 2019. 8 Folgen. Gesamtlänge: ca. 440 Minuten.
Mit: Dafne Keen, Ruth Wilson, Anne-Marie Duff, Ruta Gedmintas, Amir Wilson, James Cosmo, Ariyon Bakare, Clarke Peters, Lucian Msameti, Will Keen, Nina Sosanya, Lewin Lloyd, Daniel Frogson, Lin-Manuel Miranda, James McAvoy u.v.a. Nach der Romanreihe von Philip Pullman. Adaption: Jack Throne.



 

Philosophische Phantastik

In einer Realität multipler Universen gibt es nicht nur unsere Welt, sondern auch andere. In einem dieser Universen existiert eine Manifestation der menschlichen Seele in Tiergestalt außerhalb des Körpers: die sogenannten Dæmonen. Bis zur Vollendung der Pubertät vermag ein Dæmon seine Gestalt zu wechseln. Erst wenn der betreffende Mensch erwachsen wird legt sich der Dæmon fest. Die 12jährige Lyra Belacqua (Dafne Keen) lebt unter der Obhut der Gelehrten des Jordan Colleges in Oxford. Als ihr Onkel Asriel (James McAvoy) zu Besuch kommt, können Lyra und ihr Dæmon Pantalaimon (Originalstimme: Kit Connor) gerade noch verhindern, dass Asriel vom Master des Colleges (Clarke Peters) vergiftet wird. Den versammelten Wissenschaftlern präsentiert der als Freigeist geltende Asriel seine Forschungen vom Nordpol und bahnbrechenden Theorien zur geheimnisvollen Substanz namens “Staub”, die von dem Magisterium, einer alles beherrschenden, autoritären Kirche, als Ketzerei angesehen werden. Trotz dieser heiklen Situation werden Asriel vom Jordan College weitere Mittel zur Fortsetzung seiner Forschungen genehmigt. Lyra möchte ihren Onkel auf weitere Expeditionen in den Norden begleiten doch dieser lässt sie zurück.

 Lyra erhält das Alethiometer

Da erhält das junge Mädchen ein verlockendes Angebot. Die hoch angesehene Mrs. Coulter (Ruth Wilson) möchte Lyra als Assistentin für ihre Unternehmungen und ihr dabei die Welt zeigen. Lyra zeigt sich begeistert. Der Master willigt ein und übergibt dem Mädchen mit dem Alethiometer einen mächtigen Gegenstand. Doch dann verschwindet der Küchenjunge Roger (Lewin Lloyd), Lyras bester Freund, spurlos. Wurde er von den berüchtigten “Gobblern” entführt? Auch einige Kinder der Gypter, einem Volk von zigeunerähnlichen Seefahrern, sind verschwunden. Gypter-König John Faa (Lucian Msameti) und seine rechte Hand, Farder Coram (James Cosmo), versammeln ihr Volk, um über das weitere Vorgehen zu beraten. In unserer Welt kümmert sich der 15jährige Schüler Will Parry (Amir Wilson) um seine psychisch kranke Mutter Elaine (Nina Sosanya) so gut er kann. Die beiden stehen unter der ständigen Beobachtung durch die Handlager des mysteriösen Lord Boreal (Aryion Bakare). Wills Vater John (Andrew Scott), ein renommierter Polar-Forscher, gilt seit Jahren als verschollen und wird von der eigenen Familie für tot gehalten…

b 1995 veröffentlichte der englische Lehrer und Literaturdozent Philip Pullman (geboren 1946) seine Romantrilogie His Dark Materials (benannt nach einem Zitat aus John Miltons epischem Gedicht Paradise Lost). In den drei Teilen Der Goldene Kompass (1995; OT: The Northern Lights bzw. The Golden Compass), Das magische Messer (1997; OT: The Subtle Knife) und Das Bernstein-Teleskop (2000, OT: The Amber Spyglass) erzählt Pullman eine weltenumspannende Geschichte über die Beziehung zwischen religiöser Dogmatik und wissenschaftlichem Forscherdrang, die Schwelle zum Erwachsenwerden und andere elementare Thematiken. Wegen der kritischen Haltung der Bücher gegenüber einer bevormundenden, unterdrückenden kirchlichen Organisation wurde der Engländer mehrfach von diversen Angehörigen christlicher Organisationen heftig kritisiert.

 Will und seine Mutter

Im Dezember 2007 erschien schließlich die Filmadaption des ersten Bandes, Der Goldene Kompass, weltweit in den Kinos. Regisseur Chris Weitz, der auch das Drehbuch schrieb, gelang es dabei, den wesentlichen Inhalt der Vorlage weitgehend in einen knapp zweistündigen Blockbuster zu packen. In der Rolle der Lyra agierte die Newcomerin Dakota Blue Richards recht überzeugend, ihr zur Seite wurden namhafte Darsteller wie Nicole Kidman als Mrs. Coulter, Daniel Craig als Asriel, Sam Elliot als Lee Scoresby und Eva Green als Serafina Pekkala gestellt. Rein technisch gesehen schien die 180-Millionen-Dollar-Produktion gelungen, doch erwies es sich als gravierende Fehlentscheidung des Studios New Line Cinema, das ursprünglich gedrehte, werkgetreue und düstere Ende herauszuschneiden. Auch wenn die Leinwandadaption etwa das doppelte seines Budgets wieder einspielte (und das trotz erneuter, massiver Stimmungsmache konservativer Christen aus Amerika), so war das scheinbar nicht genug, die beiden weiteren Bücher auch zu verfilmen.

Im Nachhinein betrachtet vielleicht etwas schade, vor allem weil der “Kompass”-Film auch eher als Appetizer funktioniert, doch bei Pullmans Buchreihe bietet sich eine Serie als wesentlich geeignetere Form der Adaption an. Vier Jahre nach der Ankündigung 2015 durch die BBC feierte die von Drehbuchautor Jack Thorne (Skins, This is England) komplett geschriebene und von den Regisseuren Tom Hooper (Elisabeth I, The King’s Speech, The Danish Girl), Dawn Shadforth (drehte Musikvideos für Björk, Kylie Minogue u.a.), Otto Bathurst (Peaky Blinders, Robin Hood [2018]), Euros Lyn (Doctor Who, Sherlock), Jamie Childs (Doctor Who, Vera – Ein ganz spezieller Fall) und William McGregor (Misfits, Poldark) inszenierte erste Staffel ihre Premiere im November 2019. Für New Line Cinema, das vor allem für die jeweils dreiteilige Verfilmung von Tolkiens Herr der Ringe und Der Hobbit bekannte Filmstudio, die erste Fernsehproduktion überhaupt.

Abgesehen vom Zeitfaktor (dazu später mehr) dürfte der auffälligste Unterschied zwischen Kinofilm und Fernsehserie in der grundsätzlichen, inszenatorischen Herangehensweise liegen. Die Leinwandversion bestach vor allem durch Glamour und Schauwerte, verortete die Geschichte ästhetisch in einer Art viktoranischen Welt. Die Serie geht hier viel pragmatischer vor. Auch wenn ich im Internet keine Zahlen zu den Kosten gefunden habe, so dürfte die erste Staffel von “HDM” sicherlich die teuerste BBC-Produktion aller Zeiten darstellen. Und dennoch darf man hier keineswegs die epische Opulenz von Herr der Ringe oder Game of Thrones. Gekonnt geht man hier einer zu effektbetonten Machart aus dem Weg, indem man das gezeigte Universum recht bodenständig gestaltet. Lyras Universum wirkt wie eine Mischung aus dem glamourösen London der 1960er und 1970er während die Szenen in “unserem” Universum mit aktuellen technologischen Errungenschaften (Computer, Smartphones) in der Gegenwart spielen. Das soll jetzt aber nicht heißen, dass die visuellen Effekte hier zweitklassig geraten sind. Im Gegenteil, die gepanzerten Eisbären (Panserbjørne) sehen fast genauso wie in der Filmversion aus. Auch die tierischen Begleiter der Figuren (Dæmonen) können sich sehen lassen.

Die erste Staffel kann zudem auf eine nicht minder illustre Besetzung bauen. Lyra wird hervorragend gespielt von Dafne Keen (geboren 2005), für die junge spanisch-britische Schauspielerin ihre zweite große Rolle nach dem düsteren Comicfilm Logan. Ruth Wilson (bekannt als Alison aus der preisgekrönten Drama-Serie The Affair) verkörpert die undurchsichtige und ambitionierte Mrs. Coulter mit eisigem Charisma, welche eine Gratwanderung zwischen ihren eigenen Zielen und der Autorität des Magisteriums vollführt. Als Lyras Onkel sehen wir James McAvoy (X-Men: Erste Entscheidung, X-Men: Zukunft ist Vergangenheit, X-Men: Apocalypse, X-Men: Dark Phoenix), den geschwätzigen texanischen Aeronauten (Ballonfahrer) Lee Scoresby gibt der amerikanische Darsteller, Theaterautor, Sänger und Komponist Lin-Manuel Miranda (Hamilton, Mary Poppins’ Rückkehr). Auch für die Stimmen der Dæmonen konnten bekannte Namen gewonnen werden: Kit Connor (Rocketman, Little Joe) spricht Pantalaimon, David Suchet (Agatha Christie’s Poirot) leiht seine Stimme Kaisa, während Helen McCrory (Penny Dreadful, Harry Potter-Filme) als Stelmaria zu hören ist.

Rein inhaltlich nutzt Drehbuchautor Jack Thorne hier die zeitlichen Möglichkeiten einer Serie gut aus. Thorne erzählt nicht einfach nur die Handlung des Romans nach, sondern passt diese den Erfordernissen des Mediums Fernsehen gekonnt an. So wird etwa die Rolle des “Weltengängers” Lord Boreal (Ariyon Bakare) stark erweitert. In der zweiten Hälfte der vorliegenden Season werden bereits Will Parry, der Held des zweiten Romans Das Magische Messer, und seine Mutter vorgestellt. Insgesamt wirkt His Dark Materials an manchen Stellen dramaturgisch etwas unrund und so mancher Charakter hätte etwas mehr Entwicklung vertragen können. Es dürfte aber spannend werden wie die beiden weiteren Bände adaptiert werden, vor allem hinsichtlich des viel “metaphysischeren” Inhalts. Damit Dafne Keen nichts zu schnell aus ihrer Rolle herauswächst begannen die Dreharbeiten zur zweiten Staffel bereits vor Premiere der ersten. Wie viele Season wird die Adaption laufen? Das weiß aktuell wohl nur das Alethiometer.

Nach der Premiere bei Sky von November 2019 bis Januar 2020 ist die erste Staffel von His Dark Materials aktuell etwa bei Amazon, iTunes, Google Play und maxdome abrufbar. Eine Auswertung auf BluRay und DVD steht hierzulande noch aus.

Fazit: Bodenständig inszenierte und stark gespielte Phantastik-Adaption, die hoffentlich noch einige Staffeln laufen wird. 8 von 10 Punkten.

 


Lord Asriel hat Großes vor

Mrs. Coulter schmiedet eigene Pläne

Aeronaut Lee Scoresby

 

Marius Joa, 11. April 2020. Bilder: BBC/HBO/Sky.

 

 

 

 

 

 


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