Keine Zeit zu Sterben

Nach gefühlt unzähligen Verschiebungen läuft Keine Zeit zu Sterben seit Donnerstag endlich in den Kinos. Daniel Craig absolviert unter Regisseur Cary Joji Fukunaga seinen denkwürdigen fünften und letzten Auftritt als James Bond.


Keine Zeit zu Sterben (No Time to Die)
Agententhriller UK, USA 2021. FSK: Freigegeben ab 12 Jahren. 163 Minuten. Kinostart: 30. September 2021.
Mit: Daniel Craig, Léa Seydoux, Rami Malek, Lashana Lynch, David Dencik, Ralph Fiennes, Naomie Harris, Ben Whishaw, Jeffrey Wright, Lisa-Dorah Sonnet, Rory Kinnear, Billy Magnussen u.a. Drehbuch: Neal Purvis, Robert Wade, Cary Joji Fukunaga, Phoebe Waller-Bridge. Regie: Cary Joji Fukunaga.

 


James Bond: Endgame

James Bond (Daniel Craig) hat sich entschieden, den Job als Geheimagent Ihrer Majestät beim MI6 an den Nagel zu hängen. Mit Dr. Madeleine Swan (Léa Seydoux) möchte er nun ein neues Leben anfangen. Doch Geheimnisse überschatten die Beziehung. Als Bond nur knapp einem Bombenanschlag im italienischen Matera entgeht verdächtigt er Madeleine daran beteiligt zu sein und trennt sich von ihr. Fünf Jahre später lebt James zurückgezogen in Jamaika. Eines Tages begegnet er seinen alten Freund Felix Leiter (Jeffrey Wright) von der CIA, der Bond für eine wichtige Mission anheuern möchte. Wissenschaftler Valdo Obruchev (David Dencik), der ein hochgefährliches Virus entwickelt hat, wurde entführt. Nachdem Bond seiner Nachfolgerin als 007, Agentin Nomi (Lashana Lynch) begegnet und außerdem mehr über das Projekt Herakles erfahren hat, willigt er ein für Leiter zu arbeiten. In Kuba machen sich James und die lokale CIA-Agentin Paloma (Ana de Armas) auf die Suche nach Obruchev und werden Zeuge eines kuriosen Anschlags. Bonds Ermittlungen bringen ihn nicht nur zurück zum MI6 um Q (Ben Whishaw), Moneypenny (Naomie Hrris) und Geheimdienstchef M (Ralph Fiennes), sondern bescheren ihm auch ein unverhofftes Wiedersehen mit seiner Ex-Geliebten Madeleine, die eine Vorgeschichte mit Safin (Rami Malek) hat. Dieser ist nun im Besitz von Obruchevs Virus und droht Teile der Weltbevölkerung auszulöschen…

Nach vier Einsätzen Casino Royale (2006), Ein Quantum Trost (2008), Skyfall (2012) und Spectre (2015) – schien Daniel Craig, der fünfte Darsteller des von Ian Fleming geschaffenen britischen Agenten James Bond, zeitweise etwas “amtsmüde”. Dennoch entschloss er sich, den Doppelnullagenten mit der Lizenz zum Töten ein fünftes und letztes Mal zu verkörpern. Eigentlich sollte Bond-Film Nr. 25 unter der Regie des britischen Oscar-Gewinners Danny Boyle (beste Regie 2009 für Slumdog Millionär) im Herbst 2019 in die Kinos kommen. Doch kreative Differenzen um das Drehbuch nahm Boyle zum Anlass, das Projekt zu verlassen. Stattdessen übernahm der Amerikaner Cari Joji Fukunaga (bekannt für u.a. Beasts of No Nation, Staffel 1 von True Detective und die Miniserie Maniac [2018]) den Regieposten und schrieb gemeinsam mit den seit Die Welt is nicht genug quasi als Stammautoren fungierenden Neal Purvis und Robert Wade sowie der als Hauptdarstellerin/Autorin von Fleabag gefeierten Phoebe Waller-Bridge (auch Showrunnerin der ersten Season der Agentenserie Killing Eve) das Skript. Die Dreharbeiten fanden von April bis Oktober 2019 in Norwegen, Jamaika, Italien, auf den Färoer Inseln und in Großbritannien statt. Nachdem der Regiewechsel für eine erste Verschiebung gesorgt hatte taten die Auswirkungen der Corona-Pandemie (Schließung der Kinos usw.) ihr übriges. Nun kann man den neuen Bond-Film ziemlich genau zwei Jahre nach Ende der Arbeiten (ursprünglich geplanter Start war im April 2020!) endlich auf der großen Leinwand erleben. Nach den ersten Kritiken erwartete ich ehrlich gesagt, dass Keine Zeit zu Sterben sich ähnlich wie Spectre gestaltet, nämlich mit vielen eindrucksvollen Setpieces und gelungen Einzelszenen, die aber als großes Ganzes nicht wirklich gut zusammen funktionieren. Umso positiver dann die Überraschung, dass “Bond 25” trotz seiner in der Filmreihe bis dato nie dagewesenen Länge von 163 Minuten mich prächtig unterhalten und weitgehend beeindruckt hat, obgleich er die Klasse der einmaligen Craig-Filme Casino Royale und Skyfall nicht erreicht.

Der schwedische Kameramann Linus Sandgren drehte auf 65mm-Film und manche Szenen im IMAX-Format, was für beeindruckend großformatige Bilder und Panoramen sorgt. Bereits in einer Sequenz zu Beginn möchte man sich die augenöffnenden Eindrücke der italienischen Stadt Matera am liebsten als riesiges Poster an die Wand hängen. Die unzähligen Actionszenen wurden mit einer seltenen Unmittelbarkeit inszeniert, was die ruhelose, gewalttätige Atmosphäre und die teilweise nervenzerreißende Spannung für den Zuschauer spürbar macht ohne jedoch in nerviges Kameragewackel auszuarten. Seit Daniel Craigs Debüt vor fünfzehn Jahren schlug die traditionsreiche Filmreihe andere Töne an. Der von Schriftsteller Ian Fleming (1908-1964) in den 1950ern erfundene Top-Agent zeigte sich verwundbar und menschlicher, eine Abkehr vom überwiegend lässig-cool dargestellten Lebemann von früher. Keine Zeit zu Sterben bildet den “Höhepunkt” dieser Entwicklung. In einem nicht selten müde wirkenden Bond, an welchem auch die unzähligen Kämpfe und Verletzungen nicht mehr spurlos vorübergehen, spiegelt sich sicher auch die “Krankengeschichte” des (zum Zeitpunkt der Dreharbeiten 51jährigen) Hauptdarstellers wieder, der unter der Rolle seines Lebens auch körperlich zu leiden hatte.

Mit M (Ralph Fiennes), Moneypenny (Naomie Harris), Q (Ben Whishaw), Tanner (Rory Kinnear) und CIA-Mann Felix Leiter (Jeffrey Wright) versammelt man hier die “üblichen” Verdächtigen zu einer Abschiedsvorstellung, ebenso wie Léa Seydoux als Dr. Madeleine Swan, die ihre Rolle aus dem Vorgänger wiederaufnahm. Neu dabei: Lashana Lynch (Captain Marvel) als Bonds Nachfolgerin Nomi, Rami Malek (Oscar für seine Darstellung von Freddie Mercury in Bohemian Rhapsody) als Antagonist Safin, David Dencik (Dame, König, As, Spion) als Wissenschaftler Obruchev, Billy Magnussen (Ingrid Goes West) als CIA-Mitarbeiter Ash und Ana de Armas (Knives Out) als Paloma. Vor allem letztere wirkt mit ihrem doch sehr kurzen Auftritt als niedlich-unerfahrene aber gleichzeitig agile Jung-Agentin ziemlich verschenkt. Diese Reduzierung passt aber wiederum perfekt zu inhaltlichen Ausrichtung des 25. 007-Thrillers. Ist das noch überhaupt noch Bond, mag man sich zwischenzeitlich fragen. Doch wo James Bond draufsteht ist auch James Bond drin. Mit dem Alleinstellungsmerkmal, dass sich Keine Zeit zu Sterben am weitesten vom bisherigen Erfolgsrezept entfernt. Stattdessen servieren Fukunaga und seine Crew hier einen neuen Cocktail mit teils konterkarierten Zutaten und völlig neuen Ingredienzen, welches es im Franchise vorher noch nie zuvor gab. Diese ungewöhnliche Herangehensweise mag die Hardcore-Fans eventuell zu erzürnen, doch wirken diese im Rahmen des Endspiel-Charakters der Handlung überaus stimmig.

Schwachpunkte gibt es dann allerdings auch. Der Bösewicht Safin entpuppt sich als absolut fieser Gegenspieler, wirkt in der Summe trotz seines vernarbten Gesichts und der eigentümlichen Physiognomie Rami Maleks aber irgendwie verschenkt. Ähnliches gilt für den trottelig-wahnsinnigen Wissenschaftler Obruchev, dem Schöpfer des perfiden Projektes Herakles. Und dann wäre da noch der Titelsong. Wobei ich nach dem Kinobesuch diesbezüglich meine bisherige Meinung etwas revidieren muss. No Time to Die ist für mich ein durchaus gelungenes Bond-Titellied, nur leider erweist sich die mit ihrer Pseudo-Null-Bock-Attitüde brummelnde und säuselnde Billie Eilish als die völlig ungeeignete Interpretin. Man versuche sich vorzustellen was Bond-Titelsong-Veteranin Shirley Bassey oder auch jemand wie Adele aus dem Stück gemacht hätten.

Schlussendlich bricht Keine Zeit zu Sterben auf gravierende Weise mit einer bekannten Tradition und lässt die Möglichkeit eines kompletten Neubeginnes mit einem neuen Hauptdarsteller offen. Gleichzeitig wäre es aber nicht inkonsequent die seit 1962 laufende, langlebige Filmreihe ganz zu beenden. Denn es dürfte keine bahnbrechende Erkenntnis sein (vor allem in Anbetracht dessen, was sich in den letzten Jahren so alles getan hat), dass 007 eigentlich ein Relikt aus längst überholter Zeit darstellt. Eine Figur kann man wie in der Craig-Ära neu erfinden oder eben nicht wiederaufleben lassen. James Bond kehrt zurück. Oder vielleicht doch nicht?

Fazit: Trotz durchwachsenem Gegenspieler eine hochkarätige und intensive Abschiedsvorstellung von Daniel Craig als James Bond, mit einigen Neuerungen in der Welt des Doppelnullagenten. 8 von 10 Punkten.

 



Marius Joa, 3. Oktober 2021. Bilder: MGM/Universal.

 

 

 

 

 


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